Im Oktober erscheint das Buch BUCHHANDLUNG ZUM GOLDENEN BUCHSTABEN. Im Augenblick arbeite ich an den Vorschlägen des Lektorats des Allitera Verlags in dem das Buch erscheinen wird. Eine Kostprobe daraus: Buchstabensuppe Da kam doch letzthin ein bärtiger, älterer Herr auf mich zu und sprach mich an. Er hatte eine sonore Stimme und trug unter seiner Anzugsjacke eine seidene Weste. »Ich habe vernommen«, posaunte er in den Buchladen hinaus, »dass es hier vorzügliche Buchstabensuppe zu degüstieren gäbe«, er überbetonte das ü in einem Masse, dass ich davon erschrak, »und da bin ich einfach gekommen, weil ich so Lust und Hunger auf diese Spezialität hatte, die ich in meiner Jugend damals bei meiner Grossmutter genossen habe, sodass ich nicht widerstehen konnte, von Ihrem Rezept zu kosten.« Ich wies den Herrn darauf hin, dass wir eine Buchhandlung und kein Restaurant seien, er bei uns Bücher kaufen, aber auch Bücher degoustieren könne – ich bezähmte den Drang, meinerseits das ü in die Ellenlänge zu ziehen –, aber Buchstabensuppe, nein, die würden wir nicht führen. Er aber in sistierte. Behauptete, er hätte unsere Buchhandlung im Feinschmeckerführer, ausgezeichnet durch drei Toques, gefunden. Erneut wies ich darauf hin, dass er einem Irrtum erlegen sei, einem Bücher oder Führerbären aufgesessen, denn wir würden wahrhaftig keine Buchstabensuppe führen. Der Herr aber liess sich nicht abwimmeln. Verlangte nach dem Geschäftsführer. Ich wies ihn, immer noch vor erzwungener Freundlichkeit beinahe triefend, so hatten wir Auszubildenden es eingetrichtert bekommen – der Kunde ist König, trägt jederzeit eine Krone –, darauf hin, dass hier eine Geschäftsführerin das Zepter führe. Diese sich zurzeit aber in wohlverdienter Erholung be?nde. »Sie muss doch einen Stellvertreter haben, der über die Rezeptur der Buchstabensuppe wacht«, entgegnete mir der Mann, der nun wirklich an meinem Nervenkorsett zu zerren begann. Ich musste mir Gedankentrensen anlegen und an die letzten herrlichen Wochenendstunden mit meinem Freund denken, um mich abzulenken und nicht wie ein zu früh zündendes Feuerwerk in die Luft zu gehen, denn ich besitze leider einen aufbrausenden Charakter. »Ja«, entgegnete ich allen Kaffeezucker der Kantine in meine Stimme legend, »aber er hat Spätdienst, da müssten Sie in drei Stunden vorbeikommen, um ihn zu treffen.« Der Kunde legte seine Stirn in tausend Falten, seine Mundwinkel begannen zu zucken, ich hatte den Eindruck, sie wollten mit den Falten fusionieren und sich zu einer Ruckzucksymphonie vereinen. Er stampfte mit dem linken Fuss auf, sein Kopf wurde puterrot und er schrie mehr, als dass er sprach: »Jetzt will ich degüüüüstieren! Jetzt die Buchstabensuppe verspeisen. Sofort! Im Nu, sonst …« Ich war nun wirklich am Ende meines Lateins. Um den Herrn, dessen Bart jetzt wallte, und mir hatte sich ein Kreis von Kunden gebildet, die mit gespitzten Ohren und stechenden Augen den weiteren Verlauf des Vorfalls mit heimlichen Genusszeichen im Gesicht verfolgten. In meinem Hirn rasten die Unterrichtstunden der Berufsschule und die Worte der Ausbildungsverantwortlichen unseres Betriebs, doch keiner wollte mir ein Rettungsanker zuwerfen oder eine Lösung anbieten. Ich war ziemlich am Ende, Fluchtimpulse durchzuckten meine Beine, schlichen sich zu en Füssen vor. Was nur sollte ich mit dem Buchstabensupperich unternehmen? Ihm Buchstaben kochen? Doch wie? Bücher einkochen? Seiten zerreissen? Hilfe bei der Polizei anfordern? Doch Buchstabensuppe degüstieren zu wollen, ist keine strafbare Tat. Im Unternehmen Unterstützung suchen? Doch da würde ich meine Unfähigkeit, mit schwierigen Problemen umzugehen, kurz vor meiner Prüfung offenlegen und mir dadurch den erwünschten Weg nach oben für alle Zukunft verbauen. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als selbst mit diesem schrägen Kerl fertig zu werden. Ich griff mir in meine lange Mähne, auf die ich stolz bin, und zog heftig daran, hoffend, dass die dadurch sich spannende Kopfhaut und die Schmerzsignale bei meinen Gedanken den Turbo auslösen würden. Und tatsächlich meldete das Hirn meinen Lippen eine erstaunlich einfache Methode, das Problem aus der Welt zu schaffen. Schweissgebadet wachte ich in meinem Bett im Elternhaus auf und erinnerte mich daran, dass meine Abschlussprüfung als Buchhändlerin am frühen Vormittag beginnen würde. Ich stand auf, duschte ausgiebig und machte mich zurecht, denn für eine Prüfung soll man adrett aussehen. Da klingelte es an der Haustüre, ich war allein im Haus, die Eltern waren verreist. Hurtig zog ich meine Klamotten an, stieg die Treppen im Eilzugtempo noch ohne Schuhe hinunter. Ich öffnete die Türe und beinahe traf mich der Schlag. Vor mir stand der Buchstabensüpperich meines Albtraums, formte stumm, nur mit seinen Lippen das Wort Degüüüstieren. Das konnte nicht wahr sein. Nein, so einen Irrsinn konnte sich nur ein Horror?lmregisseur ausdenken. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Ich klemmte mich mit eigenen Fingern in den Arm, um festzustellen, dass ich nicht träumte. Hielt mir die Nase zu und versuchte dabei durch sie zu atmen. Und tatsächlich, es gelang mir. Also, so hatte ich im Internet gelesen, musste ich noch träumen. Doch wie aufwachen? Und der Kerl, der jetzt richtige Ekelgefühle bei mir auslöste, hatte seinen Fuss in die Haustüre gestellt. Ich konnte sie nicht mehr schliessen. Und wenn das mit dem Atemtest aus dem Internet nicht stimmte? Im Netz schwimmt ja so viel Müll herum. Und um neun Uhr beginnt deine Prüfung, meldete mein Hirnterminkontrollzentrum. Wieder war ich am Verzweifeln. Da kam mir der Titel eines Buchs aus unserer Buchhandlung in den Sinn – das ist ja der grosse Vorteil meiner Ausbildung, alle Bücher immer zur Hand zu haben –, der lautete: »Positiv Denken versetzt Berge!« Und ich begann, positiv zu denken. Ist alles halb so schlimm. Nein, viertel so schlimm, meldeten meine Hirnneuronen dem Körper und der Seele. Und tatsächlich, der Mann griff in seine Einkaufstasche, die er mitführte, nahm eine alte Militärgamelle heraus und öffnete diese. Er nahm aus der Manteltasche einen Löffel und bemerkte stumm, einzig seine Lippen kräuselnd bewegend, zu mir: »Kosten Sie!« Ich nahm einen Löffel davon in meinen Mund, nicht ohne vorher auf diesen, um ihn abzukühlen, zu blasen. Die Suppe konnte ja heiss sein – obwohl so heiss, wie die Suppe gekocht wird, wird sie nicht gegessen – und so degoustierte ich laut schmatzend. Die Suppe war so herrlich, wie ich nie zuvor eine gegessen hatte. Sie erinnerte mich an die beinahe 1000 Bücher, die ich in meinem jungen Leben bereits gelesen hatte. Der Duft eines jeden Wortes war zu erkennen. Da schmolzen in einer einfachen Gamellen-Suppe all die über 1000 Bücherwelten, in die ich bisher eingetaucht war, auf meiner Zunge, schwänzelten zum Rachen, drangen in meine Zungen-Paupilletten und nahmen nicht den Weg zu meinem Verdauungstrakt, nein, sie begannen, zu meinem Kopf hin zu schweben, verzauberten mein Gehirn und führten mich in den siebten Himmel. Ein Wunder ist das, was ich erlebe, dachte ich und wiederholte diese Worte an die neunhundertneunundneunzig Mal, als plötzlich ein Rasseln ertönte. Mein Wecker riss mich unsanft aus meinem Traum. Ich rieb meine Augen und wusste, dass ich die Abschlussprüfung bestehen würde. Ich war, diese Erkenntnis erfasste mich mit Haut und Haar, eine geborene Buchhändlerin, denn den Traum von der Essenz der so reichen und unterschiedlichen Bücherwelten würde ich mein ganzes Leben niemals vergessen. Nein, ich würde diesen Traum in meinem gesamten Dasein leben dürfen.