DAS SCHIFF Er ist Schriftsteller. Besuchte mich im Januar 2013. An einem Montag. Ich bin Bildhauer. Ein erfolgreicher Bildhauer. Jedenfalls kann ich von meiner Kunst leben. Ich pflege kaum Kontakt zu meinen Sammlern. Das besorgt mein Galerist, der ein Recht zum Verkauf all meiner Werke besitzt. Er kassiert zwar die Hälfte meiner Verkaufseinnahmen, dafür aber muss ich mich nicht mit meinen oft skurrilen Sammlern, meist sehr wohlhabende Menschen, auseinandersetzen. Dies insbesondere weil ich es hasse, dass meine Werke als Kapitalanlage mit sicherem, steigenden Mehrwertgewinn betrachtet werden. Als seien es Aktien. Oder ein Stück gelbes Metall. Spekulantenfutter, sage ich mir oft, bin ich geworden. Aufgestiegen in die Hölle der Finanzjongleure. Nun, sei es wie es sei. Jedenfalls kam der Schriftsteller trotz Alleinverkaufsrecht des Galeristen in mein zugiges Atelier. Klopfte nicht an. Stellte sich mir vor. Den Namen hatte ich bereits gehört. Er war meinem Unterbewusstsein ein Begriff. Ich konnte diesen nur nicht einordnen. Nicht sogleich einordnen. Geschieht in letzter Zeit öfters. Eine Folge meines doch bereits reifen Alters? Er zeigte mir ein Schreiben meines Galeristen. Dieser bat um Entsprechung der Wünsche des Kunden. Dieser wünsche sich eine Spezialanfertigung aus Metall. Ein Schiff. Um seine Werke entsprechend verewigen zu können, wie mein Verkäufer es in seinem Empfehlungsscheiben umschrieb. Wir setzten uns zusammen. Ich braute ihm einen starken Kaffee den er sichtlich genoss. Wir kamen ins Schwatzen. Ich freute mich in meinem Gast einen Bruder im Geiste zu finden. Er war auch gegen die heutige Zeit. Fand deren Auswüchse unhaltbar. Die Gewinnsucht. Die Spekulation. Verriet mir, dass er an einem Epos gegen all die Zustände arbeite. Benötige dazu ein Modell das er immer beim Schreiben betrachten könne. Mein Kunstwerk würde seinen Schreibtisch zieren. Ihn beflügeln. Obwohl ein Wasserfahrzeug keine Flügel besitze. Oder gerade deshalb. Er lebe in seinen Werken von den Widersprüchen. Die ein Werk erst zum Leben erwecken würden. Ich konnte ihm nur beipflichten. Er beschrieb sine Vorstellungen. Einen grossen Überseedampfer in Miniaturformat stelle er sich vor. Ich fertigte einige Skizzen an. Wir arbeiteten den ganzen Tag. Tranken und assen dabei. Ich genoss den Meinungsaustausch. Er beflügelte mich. Seine Gedanken beeindruckten mich. Und immer grübelte ich in den Gesprächspausen darüber nach, ob ich nicht ein Werk von ihm gelesen hätte. Seinen Namen wollte ich nicht erneut erfragen. Das hätte ihn beleidigen, mich als Banausen hinstellen können. Ich begann dann gleich als er mich verliess mit dem bildhauerischen Werk. Der Schriftsteller kam nach drei Wochen. Der Kalender zeigte bereits den zweiten Monat des Jahres an. Der Besteller zeigte sich hoch erfreut. Verlangte einzig dass ich am Schiffsruder im Heck des Gefährts ein grosses Vorhängeschloss anbringen solle. Aus demselben Material. Damit er den Lauf der Welt aufhalten könne. Wartete auf dessen Fertigstellung, Zahlte mit einem Bankscheck. Unterschrieb in verschnörkelter Schrift. Erst als er bereit mein Atelier verlassen hatte schaute ich mir die Signatur genauer an. Konnte Joseph Roth entziffern. Sah im Lexikon nach: Moses Joseph Roth, ein österreichischer Schriftsteller und Journalist http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Roth Geboren: 2. September 1894, Brody Gestorben: 27. Mai 1939, Paris