"SUPPE” Es ist kalt. Ich friere. Die Handschuhe habe ich zu Hause vergessen. Die Hände ruhen tief in den Hosentaschen, versuchen den Körperkontakt zu finden um Wärme zu tanken. Wärme, sage ich zu mir selbst, Wärme ist doch ein zentrales Anliegen der Menschheit. Körperlich oder geistig. Gefühlsmässig und mental. Was würde ich jetzt für einen warmen Kachelofen geben. Oder einen weiblichen Körper der mich wärmt. Ganz fern fühle ich die Wärme meiner Mutter als ich ein Kleinkind war. Ich taste in meinen Hosentaschen nach wärmenden Münzen. Denn diese würden es ermöglichen ein gastliches Haus aufzusuchen. Einen heissen Tee zu trinken. Oder falls die Ausbeute meiner Taschen gross genug wäre, gar einen heissen Punsch. Einen Glühwein, der mich bis zum eisigen Herzen beflügeln könnte. Weiter suche ich die abgelegenen Winkel des jetzigen Schutzraums meiner Hände ab. Ebenfalls diejenigen des Städtchens in dem ich mich befinde. Aus reinem Zufall befinde. Der Fahrer des Lastwagens der mich das letzte Stück mitnahm war hier zu Hause. Die Fahrt war zu Ende. Und ich wollte nicht weiter ins Land hinaus. Eine Stadt bietet mehr Schlupfwinkel für einen Heimatlosen. Hauseingänge. Kirchen. Arkaden. Doch ohne Warmes im Magen würde ich die einbrechende Nacht nicht überleben. Die Strassenlaternen begannen bereits ihr dumpfes Licht zu verbreiten. Ein günstiges Lokal musste ich finden. Die Hände waren mit Kleinstmünzen fündig geworden. Mine innere Stimme treibt mich an jetzt sofort einen wärmenden Hafen zu finden. Da ein Schild. Ein verheissungsvolles Schild. SUPPENKÜCHE! Mit einem dicken ausgemalten Ausrufezeichen dahinter. Das ist genau was Du suchst, übermitteln meine Eiszapfenfinger dem Hirn. Eine Suppenschüssel an der Du uns auftauen kannst! In der Gasse stehen Luxuslimousinen. Deren Fahrer sitzen mit glühenden Glimmstängeln und laufenden Motoren auf den Steuerständen dieser Fahrzeuge. Denn als Fahrersitze kann man diese mit Elektronik vollgestopften Armaturenbretter nicht bezeichnen. Leise Musik tönt aus den Cockpits. Klassische. Jazz. Und aus einem gar Rapp. Muss ein Gourmetlokal in unmittelbarer Nähe sein. Erstaunlich. Ein Spitzenlokal neben einer Suppenküche. Oder war das der Ausdruck einer sozialen Ader der Überreichen. Die auch den armen Frierenden, ihren Obolus abzugeben bereit sind? Ich betrete die Suppenküche. Einfache, lange Holztische, wie es sein soll. Wie es einer Suppenküche entspricht. Doch die Menschen die da sitzen. Pieckfein angezogen. Elegant. Parfümduft erfüllt den Raum. Auf den Tischen grosse Suppenterrinen. Leise, dezente Gesprächsfetzen wirbeln durch die warme, meinen Fingern so behagende Luft. Ein Bediensteter in einer Pagenuniform will mir den Mantel abnehmen. Doch ich gebe diesen nicht her. Mein letzter Besitz gebe ich nicht in fremde Hände. Was wäre denn mein Leben ohne ihn. Mein wärmendes Fell. Welches die winzige Restwärme festhält an mich zurück erstattet. Ich werde zum Ecktisch ganz hinten im Gastraum neben der getäferten Wand geleitet. Blicke folgen mir. Die Essenden in ihren schwarzen Glitzerroben heben kurz die Augen. Begrüssen mich mit fordernden Blicken. Eine riesige Suppenschüssel wird aufgetragen. Eine blütenweisse Serviette dazu. Meine Finger greifen nach dem Geldkleinvieh. Das wird nie reichen, melden die Handballen in mein Schämzentrum nahe dem kalten Herzen. Nicht wieder abgeführt werden vor aller Augen. Weshalb diese Maskerade mit dem Namen Suppenküche? Ein eleganter Herr kommt auf mich zu. Geschniegelt und Rasierwasserwind vor sich hertragend. Wünscht mir guten Appetit. „Wohl bekomm‘s“, sagt er in gestelzten Worten. Sieht mich voller Erwartung an. „Hoffe dass die sämige Suppe Ihnen schmeckt!“ Seine gepflegten Finger sind jetzt zu Fragezeichen gebogen. „Wenn Sie nicht bar zahlen können, kein Problem“. Sein Zeigefinger nun ein Ausrufezeichen. „Sie können, wenn erwärmt auch in Natura zahlen“, fährt er fort. Wie meint er das wohl, frage ich mich, während ich meine Suppe hastig löffle. 1