Kurzgeschichte der Woche

Zeitpolizei

(aus dem am 20.5.2017 im Allitera Verlag München erscheinenden Buch ZEITWEICHEN von François Loeb)

Erst vor Kurzem wurde sie eingeführt. Die Zeitpolizei. Als Nachfolgerin der Sittenpolizei. Dies durch ein Dekret der Vereinten Nationen. Denn die weltweite Entwicklung der Zeitkonsumption führte zu immer größeren Sorgen der politischen Gremien. Es ist ja allgemein bekannt, dass Zeit ein beschränktes Gut darstellt und der gesteigerte Verbrauch, der in den letzten Jahrzehnten permanent beängstigend anstieg, zwang die Instanzen schlussendlich zum Handeln.
Zuerst hatte niemand diesem Phänomen irgendeine Bedeutung beigemessen und nur vereinzelte Bürger, die allgemein als schräge Typen angesehen wurden, machten auf die Tatsache des Überverbrauchs des Rohstoffs „Zeitˮ aufmerksam. Alle lachten sie aus, vor allem die Abgeordneten und die Medien, die vorschlugen, solche Irren auf der Stelle aus dem Verkehr zu ziehen, einzusperren, denn die Menschen hätten genug andere Probleme, als sich durch solche Fantasien verunsichern zu lassen. Doch bald entstand eine erste kleine, aber schlagkräftige Organisation von Zeitschützern, die durch auffällige Aktionen den Weg zunächst in die Oppositionsmedien und dann von dort über die Schmuddelmedien in die breite Öffentlichkeit fanden.

Eine Gruppe der militanten Zeitschützer trat in den Zeitstreik und verweigerte sich dem Altern. Eine andere stellte die Zeit in den Rückwärtsgang, und zwar im Zeitraffermodus, sodass die Bildmedien deren Weg vom Erwachsenen über das Flegelalter in die Kleinkindphase beobachten konnten. Die Zeitschützer gaben vor, die gewonnene Zeit einem Menschheitszeitpool zu schenken, was zu bösen Kommentaren in den Leitzeitungen und Zeit-Schriften führte, denn für dumm verkaufen lassen wollte sich niemand. Als dann die Zeitschützer zum Zeitgeneralstreik aufriefen, begannen die politischen Instanzen und die Behörden hellhörig zu werden. Die Gefahr der Stagnation wurde von Parteien drastisch an die Wand gemalt, Parlamente debattierten zeitgemäß über den Rohstoff „Zeitˮ. Immer größer wurde die Schar der Zeitschutzanhänger, eine Zeitschutzpartei entstand in Übersee und bald in vielen anderen Ländern. Die guten Zeitsitten drohten zu zerfallen.

Als jedoch die gewählten Amtsinhaber feststellten, dass durch Zeitstopp und Zeitkontingentierung ihre Amtszeit gefahrlos und demokratisch wesentlich zu verlängern war, wurde die Zeitpolizei international verordnet und der Verbrauch von Zeit durch deren Aufsicht so gedrosselt, dass sieben Jahre einem Jahr gleichkamen. Daraufhin kehrte auf der Welt erneut die gewünschte Ruhe ein, die für ein langes politisches Überleben notwendig ist.




Dreisatzroman der Woche

W I L L E

Mein Wille wallt durch mich, befiehlt mal dies, dann plötzlich das und wenn ich mit ihm sprechen will, sagt der Wille NEIN jetzt will ich just gerade nicht, keine Zeit, du weißt ich bin dein Wille.

Er will und will der Wille und ich bin dabei still in meiner Stille.

Doch dann, nehme ich den Mut in beide Hände, übernehme des Willens Sein, binde seine Arme, seine Hände sind schon mein und befehl ihm ICH WILL, das was du auch wolltest, doch nun ist mein eigener Wille frei!


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Einige Kommentare zu dieser Kurzgeschichte:

Am 12. Mai 2017 schrieb ein anonymer Leser:

"Eine ausgezeichnete, bitterböse Satire ist Ihre Zeit-Geschichte! "

Am gleichen Tag schrieb S.T.:

"Lieber Francois Loeb. Das ist der beste Text, den ich von Dir bisher gelesen habe. Der Seitenhieb auf die Politiker macht ihn zur echten Satire. "


"Zeitpolizei" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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