Kurzgeschichte der Woche

Zeitdiebstahl

(aus meinem soeben erschienen Buch ‚ZEITWEICHEN‘, Allitera Verlag, Müchen)

Hart wie Stahl begegnet uns der Zeitdiebstahl. Zeitdiebe umzingeln uns. Stecken die von uns gestohlene Zeit in ihre vollen, bereits ausgebeulten Zeittaschen und versuchen dann, noch mehr der wertvollen Sekunden und Minuten, der Viertel-, Halb- und Dreiviertelstunden an sich zu reißen. Uns unsere verfügbare Zeit zu entwenden. Uns zeitlos zu entblößen. „Haben Sie eine Minute Zeit?“, dieser Satz sollte jeden Zeitbesitzer in höchste Alarmbereitschaft versetzen, wie die Agentur für Zeitschutz in ihrer jüngsten Publikation betont, die, gegen Abgabe von drei Tagen und sechsundvierzig Sekunden, beim öffentlichen Zeitamt gegen telefonische Vorbestellung zu beziehen ist.
Doch Vorsicht! Auch dort haben sich schon abgebrühte Zeitdiebe eingenistet. Eine zeitlose Telefonbeantwortungsendlosschlaufe bittet um einige wenige Momente Geduld. „Sie werden gleich weiter verbunden“, oder „Wir verbinden sie“ (selbstverständlich kleingeschrieben, denn wo kämen wir mit dem Zeitverlust von Ehrbezeugungen denn hin), „verbinden sie mit dem nächsten freien Mitarbeiter, haben sie etwas Geduld!“ Nun, Geduld kostet Zeit. Das haben sich die in Telefonendlosschlaufen eingeschlichenen Zeitverbrecher zu Nutze gemacht und füllen ihre Zeitkassen mit den uns entzogenen Sekunden, Minuten, oder gar Viertelstunden.

Ein weiterer beliebter Trick der Zeitlangfingerzunft geschieht beim Arbeiten mit Computern. „Geben Sie … ein“, „aktualisieren Sie Ihr Programm“, „der Dienst ist zur Zeit gerade nicht verfügbar, haben Sie etwas Geduld“, „Ihre Anfrage wird bearbeitet“, „starten Sie den Computer neu“ … und was diesen Dieben noch alles einfällt. Aber auch am Bahnschalter, beim Hauptpostamt und bei erlauchten Bankhäusern ist die Zeitbande bereits aktiv. Oder weshalb muss man dort wie beim Zahlenlotto Nummern ziehen, können Sie mir das erklären? Auch auf Autobahnen sind sie tätig. Staus ab dreizehn Kilometern sind ihre neuste Spezialität. Im Büro beim Warten auf den Chef, in der Küche beim Gedulden auf die Heimkehr der lieben Kinder weit nach Mitternacht, beim Zählen der Münzen bis zum nächsten Zahltag, bei Zugverspätungen, beim Einchecken auf Flughäfen, beim Absitzen von Sitzungen die den Sitzungsleiter bestätigen, beim Anhören der stets selben Geschichten, die der Partner von sich gibt, beim Antigenuss von politischen Parolen, denen man nicht entgehen kann, und was da alles an Timepickpocketgenialem noch zu finden ist.

Also, ich will allen Schlichen dieser, die Volkswirtschaft schädigenden, Zeitkriminellen auf die Spur kommen, bitte melden Sie mir unverzüglichst und ohne Zeitverlust neue, Sie beschäftigende Zeitdiebstahltatorte. Einfach, um nicht von einer Telefonschlange gebissen zu werden, mit einem Mail an folgende ungültige Adresse: info@zeitdiebstahl.org. Viel Spaß …!




Dreisatzroman der Woche

V E R S T E I N E R U N G

„Ich grüsse Dich“, spricht an die Muschel aus der Steinzeit, die in Händen ich jetzt halte, steinern zwinkernd mich!

„Steinern war die lange Zeit, doch jetzt da du mich befreit, leb ich auf, sehe die Sonne , ach welche herrlich steinern Wonne!“

„Ich werd auch dich befreien“, sagt der Stein darauf zu mir, „ich mache Dich nun zum Fossil der Zeit des DIGITAL“ und lacht dazu Byte um Byte ihr gläsern Klang in die versteinert Zeit des Megarechners kalt Gesang...


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Ein Kommentar zu dieser Kurzgeschichte:

Am 20. Mai 2017 schrieb ein anonymer Leser:

" von der Telefonschlange gebissen und ungültige Mailadresse - sooo witzig! Wie die ganze Zeitdiebstahlgeschichte, mit der sich viele Lesenden identifizieren können! Die Schattenseiten der Globalisierung ironisch beobachtet... "


"Zeitdiebstahl" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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