Kurzgeschichte der Woche

Umkehrschub

„Wer kennt den Umkehrschub nicht? Das Aufheulen der Triebwerke beim Landen! Aber es gibt ihn noch anderen Orts.“ Das erzählte mir Hubertus vor wenigen Tagen. Wir saßen gemütlich bei einem alkoholfreien Tequila - ich bin seit 2 Jahren wieder trocken Fußes aus dem Alkoholsumpf auferstanden - in der vegetarischen Bar in der nicht einmal eine Fliege erschlagen werden durfte. Hubertus hatte ich seit Jahren nicht mehr getroffen. Einst war er mein Philosophielehrer im Gymnasium. Näher gekommen war ich ihm erst vor Kurzem als mein erstes Philosophie Buch mit meinen 29 Jahren veröffentlicht wurde und zum Weltbestseller aufgestiegen war. Da suchte mich Hubertus im Hause meiner Eltern auf. Ich wohnte trotz pekuniären Tsunami ähnlichem Wasserfall immer noch im Elternhaus. Hubertus fester langer Handdruck, gefolgt von seinen ersten Worten anstelle eines Grußes waren am Gartentor: “Das habe ich nicht für möglich gehalten! Jedenfalls nicht von Dir, meinem schlechtesten Schüler! Deshalb bin ich hier. Will Dir gratulieren. Mich in aller Form entschuldigen. Für meine Gedanken. Für das, dass ich Dich für unfähig gehalten habe.”

Dabei knickte seine Wirbelsäule nach vorn. Sein Körper vollführte eine Art Verbeugung, als ob er auf der Bühne Ovationen für sein schlechtes Denken entgegen nehmen würde. Ich war ziemlich perplex. Wie sollte ich reagieren? Ihm einen Kaffee anbieten? Ihm mein Buch signiert übergeben. Aber das wagte ich mich dann doch nicht. Ein Schüler der einen gestrengen Lehrer belehren will. Nein, das war außerhalb meiner geistigen Reichweite. Denn, obwohl in schriftstellerische Höhen gehisst, war ich doch ängstlich geblieben. Ein Introvertus der lieber allein in seiner Schreibklause saß und dort die Ruhe genoss um Nachzudenken. Nachzudenken über den Gang der Welt. Der Vergänglichkeit des Homo Sapiens, seiner ihm innewohnenden Kraft die Umgebung in der er wohnt zu zerstören. Über meinen Schatten springen, nein, das war unmöglich. Das würde mir Angesichts des einknickenden Hochschullehrers niemals gelingen. Also doch einen Kaffee anbieten? Auch das schien mir nicht am Platz zu sein. So lud ich ihn in die oben erwähnte Bar ein. Dort saß ich ihm jetzt Auge um Auge gegenüber. Er bot mir gleich das Du an. Eine Ehre die ich nicht abweisen konnte, obwohl ich mit seiner philosophischen Richtung nicht einverstanden war und es auch nie sein würde. Und jetzt begann Hubertus mir von seiner neuesten Forschung zu berichten. Deren Ergebnisse kurz vor dem Durchbruch stünden. “Ich habe die neue Forschungs-Richtung Umkehrschub genannt. Umkehrschub weil ich herausgefunden habe, dass es Menschen gibt denen eine Umkehr gelingt. Nein, nein nicht eine Umkehr wie Alkoholiker, die dann auf einmal trocken sind. Oder Atheisten die mit einem Schlag zu Gläubigen werden. Zu Gläubigen denen jeder Zweifler eine Höllenqual bedeutet. Nein, siehst Du die Umkehrschubtheorie, besser ausgedrückt Umkehrschub-Praxis bedient sich der Altersumkehr. Ja, da staunst Du. Ich habe das in Praxistests bewiesen. Bewiesen ohne dass mein ‘Opfer‘ dies bemerkt, je bemerken wird.”

Jetzt sah mich Hubertus mit stechenden Augen als wolle er mich aufspießen an und fuhr fort: “Ich möchte Dir meinen großen Dank aussprechen. Einen ewigen Dank”, und der Kerl erhob sich von seinem Barsessel, vollzog nochmals einen ungeschickten Knicks, als ob er sich nicht nur bedanken sondern zusätzlich entschuldigen wolle.
“Ich habe meinen Altersjahren Umkehrschub geschenkt! Bin in dich hineingeschlüpft und Dich in meine alte Haut gepackt! Ja schau mich nur an! Wie jung ich jetzt seit dem Handschlag mit Dir aussehe. Und sehe jetzt an Dir herunter! Ja, richtig schrumpelig ist nun deine Haut. Und dein Haar, haha, was davon übrig bleibt stumpf. Und mein schwarzer Haarschopf wird Frauen begeistern. Der Umkehrschub eine glänzende Erfindung. Ich werde mich in Deinem Buchruhm sonnen und Dir dann beim nächsten Besuch hier in der Bar darüber berichten, damit Du sehen kannst was Du verpassen wirst …”




Dreisatzroman der Woche

L A P I D A R

Zu lapidar dieser Roman dann doch war.

Dreiundachtzig Jahre plus drei Haare.

Wären es doch zumindest deren vier, ich käm zu Dir!


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"Umkehrschub" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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