Kurzgeschichte der Woche

Neujahrskonzert

“Entschuldigung, geht’s hier zum Neujahrskonzert”, stellt mir die junge strahlende Frau eine Frage und blickt mir beinahe verträumt, so empfinde ich es jedenfalls, tief in meine Augen. Mein Herz schlägt augenblicklich höher. Adrenalin fließt durch meine Adern. Ist eine ganze Zeit her, dass mich eine Frau so angesehen hat. Will sie ein Gespräch? Mich gar anmachen? Wie das die jungen Menschen heute bezeichnen. In der Lebensmitte stehend kann ich ruhig deren Sprachweise übernehmen. Bin ja noch nicht alt. Dort würde so ein Ausdruck deplatziert erscheinen. Stelle mir vor was ich empfinden würde wenn mein Vater von ‘Anmache’ sprechen würde. Witzig wäre das. Doch wenn ich mit der Strahlefrau mit ihren Lachgrübelchen unterhalb der Wangen ins Gespräch kommen will, sollte ich nicht solchen philosophischen Gedanken nachhängen. Mich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Ich habe die Frage zu beantworten, mahnt mich mein stummes, es bedauert dies sehr, Trommelfell, das eine Antwort auf der Zunge hätte, besäße es eine. Doch mein männlicher Hagestolz sinniert darüber wie er die Begegnung verlängern könne. Klar, sagt meine Innenstimme, Google einsetzen. So hebe ich an:

“Einen Augenblick, ich befrage mein Smart Phone” und ich beginne wild auf den Google-Tasten herum zu hämmern. Ach, könnten diese meine Sehsuchtsträume wiedergeben, die Fragerin wäre mein. Doch stattdessen kommen Antworten wie Wiener Symphoniker, Teatro La Fenice, Venezia, sowie Berliner Philharmonie, doch befinden wir uns in meiner kleinen Provinzstadt die außer einem kleinen Festsaal im Hotel Krone keinen Konzertsaal besitzt. Also Ortungsdienste einschalten (bringt auch eine halbe Minute ihrer Nähe) , die ich aus Stromspargründen stets ausgeschaltet halte, gebe nochmals Neujahrskonzert ein. Es erscheinen erneut Wiener, Venezia, Berliner aber auch ‘DAS BESONDERE NEUJAHRSKONZERT’ möglicherweise kann ich da fündig werden. Bitte nochmals um wenige Sekunden Geduld, ich sei gleich so weit. Die junge Frau tritt bereits von einem Fuß auf den anderen. Toilettennot?

“Ich muss pünktlich sein!”, bemerkt sie mit leichtem Panikanflug in ihrer Stimme. Sieht immer wieder über die Schulter. “Es darf nicht sein dass mich die Vergangenheit einholt, nie und nimmer!” Sehe jetzt auch Panikflecken auf ihrer so anziehenden Haut am Hals, an den Beinen. Wie sie das aushält bei der Silvesterkälte keine Strümpfe zu tragen frage ich mich! Konzentration erneut auf mein Smart Phone. Zeit gewinnen. Könnte die herrlichen Augensterne die mich immer noch durchbohren einladen mit mir den Jahresübergang zu feiern. Feigling will mein zungenloses Trommelfeld dem Mund mitteilen, der zwar bezungt, doch feigehaftstumm den Augen befiehlt auf Zeit zu spielen. Na ja, das besondere Neujahrskonzert tönt verlockend. Blicke zur Fragestellerin. Ihre Gesichtszüge verdunkeln sich. Die Haut wird schrumpelig. Durchbohrt mich weiter.
“Zu lange!“, bemerkt die Frau. „ Die Vergangenheit holt mich ein. Bin jetzt das alte Jahr mit all seinen Lasten. Auf das neue Jahr samt besonderem Konzert muss ich mich erneut 12 Monate gedulden.“ Und vom fernen Kirchturm ertönen zwölf mächtige Glockenschläge. Einmal mehr bin auch ich Neujahrskonzertlos auf mich selbst gestellt und habe mich mit meinem sprachlosen Trommelfeld zum Unterhalten zu begnügen ...




Dreisatzroman der Woche

G E D A N K E N - S T A U

Hupkonzert und Drängeleien, welche Spuren denn nun schneller seien, Kopf an Kopf Gedanken wollen rasen, dürfen einzig warten und aneinander grasen.

Da eine Lücke, ich den Bleistift zücke...ein Gedanke läuft Amok, lass ihn nicht durch diesen ekelhaften Zock.

Worte ringen mit der Bleistiftskelle, ach würden die Gedanken sich nicht derart jagen, ich würde mehr zu schreiben wagen!




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"Neujahrskonzert" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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