Kurzgeschichte der Woche

Verwedelt

“Ach wenn mein Mann nur wedeln könnte”, bemerkt meine Patientin die brav und langgestreckt auf meiner Praxis-Couch liegt. Ich bin praktizierender Psychologe. Darf mich eines verfehlten Abschlusses wegen, es fehlte nur eine Viertelnote, nicht Psychiater nennen, denn mir mangelt es dadurch an der staatliche Approbation. Doch möglicherweise ist das auch der Glücksfall meines Lebens, denn ein Psy wird von vermögenden Damen und Herren beinahe wie ein Schosshund gehalten mit dem an Kaffeekränzchen und Stammtischen geprahlt werden kann. Wer keinen Psy sein eigen nennt wird in den oberen Schichten der Gesellschaft nicht anerkannt, denn den Seelenmüll abzuladen, abzuführen, gehört in der Gegenwart im Gegensatz zu früheren Zeiten da es eine Schande war die besser verheimlicht wurde, zum guten Ton. Und zu diesem zu gehören liegt mir nicht. Bin unmusikalisch, daran muss es wohl liegen. Doch ich komme, beinahe typisch für einen Psy vom Hundertsten ins Tausendste, dabei wollte ich von der Dame erzählen die gerne hätte, dass ihr Ehemann das Wedeln erlernen würde. Ich versuche nicht in Tiefen der Dame vorzudringen. Das ist keineswegs meine Aufgabe. Ein Psychologe muss Lösungen vorschlagen können. Praktische Lösungen. Lindernde Massnahmen und nicht in der Seele stochern um die trüben Schichten aufzuwirbeln in denen seine Honorare schlummern.

Nun, einen Ehemann zum Wedeln zu bringen, praktisch und tatsächlich, wenn das nicht eine kaum zu bewältigende Aufgabe darstellt. Wie stellt sich die Frau das vor? Wie kann ich ohne zu Stochern an eine Massnahme kommen die zur Erfüllung meiner Patientin führt. Denn das und nur das erhofft sich meine Kundschaft. Leiden zu eliminieren. Aber Subito. Ohne jeden Aufschub und für das ist meine Praxis bekannt und wird stets von Mund zu Mund weiter empfohlen. Ja, von Mund zu Mund und nicht wie bei Psy’s von Hand zu Hand, von Fuss zu Fuss. Während die Patientin schweigt. Still vor sich hin denkt, oder gar in einem Tranceschlaf verweilt, arbeiten meine Synopsen auf Hochtouren was bei mir immer Heisshunger auslöst. Ich stehe auf. Gehe gemessenen Schrittes zur Küche. Fasse nach einer Trockenwurst die im Kamin hängt. Beisse kräftigen Zahn’s hinein. Kaue. Schlucke. Giesse ein Glas trockenen Weissweins nach. Dann ein Stückchen Bitterschokolade in den Mund stecken, die ich als angenehme Medizin täglich vertilge. Gehe zurück in meine Study, setze mich. Beobachte meine Patientin die jetzt einem Augenflattern, in beinahe Überschallgeschwindigkeit zu erliegen droht, dann ihren Blick nach Innen wendet. Die Lider schliesst und, so nehme ich als erfahrener Psychologe an, beginnt ihre inneren Lieder zu geniessen.

Einen Mann zum Wedeln zu bringen. Will sie dass er Freude, Emotionen zeigen kann? Würde die Patientin damit leben können? Oder will sie das Gegenteil. Meine langjährige Erfahrung, ich praktiziere meine Berufung bereits 45 Jahren und habe mit den 77 Jahrringen die ich in meiner Hirnkruste glücklich mit mir herum trage, so manches erlebt, weist darauf hin, dass die Aussage eine verschlüsselte ist. Doch muss ich den versteckten Schlüssel finden. Gleich einem Geheimagenten der den vertraulichen Code zu knacken hat. Ich räuspere mich. Krrhmmmm. Die Frau öffnet die Augen. Ein wenig Unglück sehe ich in diesen glänzend mir zuwinken. Stammt es vom Abbruch der Lieder? Oder ist es angeboren? Könnte es mit dem nicht wedelnden Mann zu tun haben? Ich muss es versuchen: “Verwedelt ihr Ehepartner stets alles?”, frage ich mit leiser aber emotionaler Stimme. Sie springt von der Couch auf. “Ja, genau das ist er, deshalb muss er wedeln lernen.” Mein Erröten über mein Genie unterdrückend verabschiede ich mich von der Patientin und denke ein Psy wäre nie auf diesen Umkehrschluss gekommen und schlage mir mit der rechten Hand auf die linke Schulter. Wenigstens diese Anerkennung habe ich verdient.




Dreisatzroman der Woche

M A U S E T O D

Letzthin traute ich meinen Augen nicht, als ich auf dem Platz der Republik, um fünf nach Mitternacht, bei hellem Sichelmond dreiundvierzigmillionenzweihundertsiebzehntausend Mäuse sah, welche in Sprechchören und hochgehaltenen Schildern ihrem Unmut Ausdruck zu suchen gaben, dagegen sich verwahrten, dass das Wort mausetot Tag für Tag im Gebrauch missbraucht, ohne nur einen Gedanken dabei zu verlieren, wie schlimm dessen Wirkung in einer Mauseseele denn auch sei.

Der Mäusesprecher, oder war es eine Sprecherin, war hoch erbost, zog am Rednerpulte stehend Vergleiche und gab als Beispiel an, dass, falls der Unfug nicht bald Dudenmässig eingestellt, die Mäuse nicht mehr mäuschenstill verharren würden, nein, Menschentod sie ihrem Pfeifen ansonsten beizufügen wüssten und zwar subito!

Da kam auf Samtespfoten ein Katzenheer daher und mehr will ich nicht mehr berichten, denn mausetot und rot schien der Mond in dieser Nacht, als aus dem Traum ich ward Katzenpfotenmauselebend, zack,zack, grobessanft erwackt ...




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Ein Kommentar zu dieser Kurzgeschichte:

Am 16. Februar 2018 schrieb ein anonymer Leser:

"Einfallsreich, ironisch und witzig! Mit ausgeklügelten Worten ist Ihre Geschichte verfasst. Ohne zu verraten, was verwedeln genau heissen soll. Raffiniert! "




"Verwedelt" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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