Kurzgeschichte der Woche

Abhängen

Heute habe ich eine wichtige Verabredung. Es geht um meinen neuen Job. Eignungsprüfung ist angesagt. 76 Bewerberinnen und Bewerber haben sich angemeldet. 3 sollen aufgenommen werden. Ich habe mein Selbstbewusstsein trainiert. Einen Kurs gebucht den mir meine Freundin geschenkt hat. War froh. Ebbe in meiner Kasse. Seit einiger Zeit ohne Arbeit. Ist ja nicht tragisch bemerkt meine Freundin jeweils mit ihrem breiten Lächeln das ich so liebe. Teilst das Schicksal mit Vielen. Genieße diese Phase des Lebens. Schlaf aus! Geh wandern! Fröne deinen Steckenpferden. Und ich fröne. Aber einmal muss Schluss sein. Der Kurs hat mir sehr geholfen. Mein Selbst aufgebläht, als sei ich ein Kugelfisch der sich vor Feinden schützt, fünfmal größer wird als er tatsächlich ist. Aufgebläht wohl verstanden und nicht aufgeblasen. Das wäre eine schlechte Voraussetzung. Stehe am Bahnsteig. Der Regionalzug hat wiederum, als sei ich um Jahre zurückversetzt, Verspätung. Unbestimmte Zeit wird durchgegeben.

Gut dass ich den Rat meiner Freundin, sie steht wirklich mit beiden Füssen im Leben, befolgt habe und den früheren Zug nehme um Reserve zu haben. Sehe mich um. Griesgrämige Gesichter rund um mich. Kein einziges Lächeln. Alle zuhause im Tieffrierer vergessen? Da kann ich mich nur glücklich schätzen nicht zu dieser Art Molocher zu gehören. Lächle mir jetzt selbst zu. Werde angestarrt. Denken die wohl alle der muss neben den Schienen liegen so früh morgens zu lächeln. Froh zu sein. Sich nicht über die Verspätung zu ärgern. Und ich ärgere mich nicht. Habe ja Reserve. Bin sicher die Prüfung mit Glamour zu bestehen. Da! Er trifft ein der Regio Express! Ha dass ich nicht lache. Express mit 22 Minuten Verspätung! Ein echter Witz. Aber immer noch Zeitreserve vorhanden. Kann mich zurücklehnen. Genießen. Meine Kopfhörer einstöpseln. Rap!! So motivierend für das bevorstehende Examen! Steige ein.

Erstaunlich, früher, als ich noch musste, waren die Wagen überfüllt. Selbst die so begehrenswerten Einzelsitze sind frei. Fläze mich da hin. Lehne zurück. Abhängen. Chillen! Schließe Augen. Da das so vertraute Ruckeln. Ha! nach kurzer Zeit hält er wieder. Typisch. Kein Verlass! Dank der Freundin Rat stört mich das wenig. Seltsam, stehen bereits lange. Typisch Bahn. Wiederum ein Rucken. Reserve schmilzt wie Schnee an der Sonne. Da erneute Bewegung! Und endlich die Durchsage: “Wir begrüßen sie auf unserer Fahrt ...”
Um Himmels Willen das ist doch die falsche Richtung ...




Aus:
François Loeb’s
Sprichwort
SchüttelBecher
Weis-heiten des 21. Jahrhunderts

Mir kann keiner an den
Klimpern Wimpern




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Ein Kommentar zu dieser Kurzgeschichte:

Am 16. März 2018 schrieb ein anonymer Leser:

"Oh jeee, so amüsant und tragisch zugleich - und ich wüsste wieder einmal so gerne, wie die Geschichte ausgeht - aber darüber schweigt der begnadete Autor natürlich wie gewohnt... "




"Abhängen" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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