Kurzgeschichte der Woche

Sonnenpfützen

„SONNENPFÜTZEN, ja, nach denen sehne ich mich das ganze Leben! In ihnen baden. Mit den Füssen das Eis brechen das der Seelenwinter darüber legte.“ Ein Strahlen geht über das Gesicht des Greises den ich als Pfleger an diesem sonnigen Frühjahrstag, den ersten an dem das Thermometer sich einen Ausflug auf über 10 Grad erlaubt und die ersten Blüten aus dem Boden stampft. Denke, dass dieser sonst so einsilbige Mann plötzlich nun auch am Aufblühen ist. Ihm dem Todgeweihten, die Ärztin flüsterte mir gestern nach ihrem Arztbesuch zu, „noch höchstens drei Wochen, den Monat überlebt er nicht, aber keine Angst nicht nur die Warteliste des Todes ist lang, sondern auch diejenige unseres Pflegeheims, ihren Job werden sie bestimmt nicht verlieren, weiter Rollstuhlspazierfahrten unternehmen.“ Eigentlich hätte ich nach diesen Worten erleichtert sein sollen, aber mein Pflegefall tat mir leid. Ein so netter älterer Herr der seine Abschiedsvorstellung demnächst geben würde, werde ein Loch in meine Gefühlswelt reißen. Nun denn, denke ich, jedenfalls will ich ihn den Frühling noch spüren lassen. Mit Sonne im Herzen und auf der Haut, wenn diese auch schrumpelig ist, stirbt sich leichter. Und ich habe ja noch mein ganzes Leben vor mir. Noch Jahrzehnte der Unbeschwertheit. Der Liebe. Der Abenteuer. Der unendlichen Frühlingsdüfte. Und wenn es dann einmal so weit sein würde, wäre ein Loslassen ein Leichtes. Ich schiebe den Rollstuhl auf dem Kiesweg. Ziemlich anstrengend, aber gesund für meine Muskeln. Kann mir den Fitnessclub heute dadurch ersparen. Einen Drink mehr leisten am Abend nach Feierabend.

„Mehr nach links“, befiehlt der Mann mir jetzt. „Siehst du dort wie die Sonnenstrahlen den Dunst durchdringen. Dort will ich hin. Zu den SONNENPFÜTZEN!“ Er spricht das Wort in Grossbuchstaben aus. Ha, Sonnenpfützen, was für ein Ausdruck, denke ich. Die Sonne saugt doch Pfützen auf, nicht umgekehrt. Doch das Alter macht meinem Kunden bestimmt zu schaffen und so verwechselt er bereits die physischen Gesetze nach denen wir zu leben haben. Wohl bald auch die psychischen, kein großer Unterschied. Steuere aber nichtsdestotrotz nach links. Der Kiesweg endet hier. Ich schiebe jetzt über Grünfläche. Hoffe, dass der Hausmeister mich nicht sieht. BETRETEN VERBOTEN Schilder zieren den sprießenden Rasen. Na und? Wennschon! Dem Alten einen letzten Dienst erweisen. Wird unter der Erde wohl keinen sonnenpfützen, selbst in Kleinbuchstaben mehr begegnen. Letzter Wunsch. Henkersmahlzeit, klappert mein Hirn meinen Füssen zu, die sich weiter im Gras bewegen, hin zu den Sonnenstrahlen. Soll der Gärtner mich dann ausschelten, halte ich gerne aus, um meinem Pflegefall einen Gefallen, einen letzten, oder vorletzten zu erweisen. Wir nähern uns dem gewünschten Zielort. Eine alte Eiche steht dort. Wuchtig. Mächtig. Und tatsächlich sehe ich unter ihr jetzt wie Sonnenstrahlen auf der Erde kugeln. Rund um den Stamm der bestimmt bereits mehr als hundert Jahre hier steht. Denke das sei nicht möglich. Sonnenstrahlen im Schatten eines Baums, das geht doch nicht.

„Näher ran“, befiehlt mein Pflegebefohlener im Rollstuhl jetzt. Seine Stimme klar und jugendlich. Es geschieht hier Übersinnliches, überlege ich, schiebe den Rollstuhl zu den Strahlen hin, die nun wie große Murmeln um uns kreisen.
„Ist es so richtig?“, vernehme ich die Stimme meines Patienten. „Wir sollten langsam zurück ins Heim“, fährt er fort. Ich versuche meinen Kopf zu drehen um ihn anzusehen. Das schmerzt. Och, was rumpelt es jetzt. Mein ganzer Körper schmerzt. „Bitte vorsichtiger fahren!“, rufe ich meinem Fahrer zu. Doch wie kommt es, dass ich im Rollstuhl sitze und er fröhlich und munter, mich beinahe im Laufschritt, zurück in mein Pfleger Zimmer fährt ...




Dreisatzroman der Woche

K A S T A N I E N B L Ü T E

An meiner weißen Blütendolde, der Heimat meines Seins, harre ich, hoch gestreckt zum Himmelszelt, der Dinge, die sich da ereignen sollen.

Regen prasselt, Sonnenstrahlen streicheln mich, umsummt am Tage von fliegendem Getier, das gierig meinen Nektar saugt, frage ich mich stets und immer lauter:
„Was denn das Ganze soll?“

Erste Blütenblätter verlassen windestanzend mich, ich werde satt - was soll das nur? Ich frage ernsthaft mich, was ist der Schöpfung Richtungsschnur...?




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"Sonnenpfützen" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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