Kurzgeschichte der Woche

Ins Netz gegangen

Die Meereswellen rauschen. Obwohl Ebbe herrscht. Wie wird es erst sein wenn die Flut einsetzt. Und das an diesem Vollmondtag. Ohrbetäubend. Davon gehe ich aus. Flut! Verjagt dann, so meine Hoffnung, die Ebbe die seit Jahren in meinem Geldbeutel herrscht. Muss mich mit Sammeln von Muscheln, Pfandflaschen und Steinen mit ausserordentlichen Formen, besonders beliebt bei japanischen Touristen, über Wasser halten. Fein, dass mein Freund der Souvenirhändler mir faire Preise anbietet. Also, verstehen Sie mich richtig, nicht bei den Pfandflaschen, dort liegt nichts drin, wie er mir immer wieder versichert, aber bei den Coquillagen und den Pierre Speciales. Ich erhalte einen Prozentanteil am Verkauf, denn seine Kundschaft mäkelt stets am Verkaufspreis, sodass er nachgeben, rabattieren muss. Obwohl er keineswegs will. Denn er lebt wie ich auf kleinem Fuss. Etwas grösser als meiner, der nur knapp zum Überleben reicht. Mit Ausnahme des Winters, in dem ich mich mit Wasser und einer Baguette, deren Preis staatlich reguliert ist, begnügen muss. In der Saison aber, da kann ich manchmal eine Sause feiern. Mit 6 Austern. Einem Pichet Weissen. Und wenn es eine grosse ist, mit einem Charcuterie Teller, ja und zwei Baguettes, sodass mir der Magen dann beinahe platzt. Und das Alles bei Lobo, dem Wirt des Hinterhofs am Ufer des Ozeans. Ein netter Kerl. Durchaus. Auch wenn er mich in der Saison Basse nicht kennt. Nicht kennen will. Spielt aber keine Rolle. Denn, da ist sein Lokal geschlossen.

Ja, heute ist der letzte Tag seiner Öffnung. Morgen verriegelt er seinen Laden. Mit Brettern. Mit dem freundlichen Text ‚Au revoir im April“. Und es ist erst Oktober. Die Mangelzeit steht bevor. Nicht Lobo‘s. Denn er hat gut verdient. Aber meine. Nun, ich muss mich da rein schicken. Was bleibt mir anderes übrig. Auch wenn die Flut jetzt die wundervollsten Muscheln und Steine anschwemmt. „Keine Abnehmer“, bemerkt mein Freund. Bring das Zeug im April wieder. Wie soll ich bis dann mein Leben fristen? Bestelle noch ein Pichet vom billigen Weißen. Und 6 Austern. Die nächste Sause liegt so fern. So fern wie Saturn von der Erde. Lass es mir schmecken. Da kommt ein Stammgast des Lokals, den ich nur flüchtig kenne, seinen struppigen Bart mir entgegen wehend, an meinen Tisch. Sieht mir tief in die Augen. Wirft sein Fischernetz über mein Haupt. Ich zapple wie ein Wilder.
„Bist mir ins Netz gegangen! Hast in der Lotterie den Haupttreffer gewonnen. Habe für mich in deinem Namen getippt, da ich absolutes Spielverbot durch meine Gattin verordnet bekam. Erhältst von mir freie Kost und Logis in der nächsten Saison. Verplemperst sonst ja nur den Gewinn. Sag ja, dann befreie ich dich. Sonst ab ins Meer mit dir. Niemand wird dich vermissen. Kannst bei Deinem Sammelgut still verrotten. Und ich weise nach, dass ich dein Erbe bin. Ein gefälschtes Testament für mich ein Kinderspiel. Also einverstanden? Musst mit mir nur zur Bank gehen damit ich ein Konto auf deinen Namen einrichten kann. Dann fließt die Flut und Du wirst keinen Hunger mehr zu leiden haben.“

Ins Netz gegangen, im Netz gehangen, denke ich. Nehme aus meiner Poetentasche mein Tintenfässlein, mit dem ich meiner Füllfeder immer erneut Leben einhauche, spritze die Tinte in Richtung meines Peinigers. Nicht umsonst liebe ich den Ozean. Habe von den Oktopussen gelernt. Dunkel wird es um mich. Um das Netz. Befreie mich. Stülpe es dem Werfer, der blind mit seinen Armen um sich schlägt, über sein Haupt. Nehme den Lotterieschein aus seiner linken Jackentasche, verspreche ihm lebenslang täglich Brot. Und Wasser. Kein Meerwasser, das wäre mir zu schade. Nein, Süßwasser, denn nicht wahr, Rache ist süß, besonders wenn diese im Dienste der Gerechtigkeit erfolgt ...




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Ein Kommentar zu dieser Kurzgeschichte:

Am 22. Oktober 2018 schrieb ein anonymer Leser:

"Deine Geschichten ist ja genial ☺️ bewegend .... verträumt .... mit Wahrheit benetzt und berührend."




"Ins Netz gegangen" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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