Kurzgeschichte der Woche

Tassen

“Nicht alle Tassen im Schrank, Nicht alle Tassen im Schrank!” schreit die Frau als sie heftig die Türe zu unseren Kommissariat aufstösst. Der Diensthabende weiss nicht wie reagieren und ruft mich, der im Hinterzimmer gemütlich beim Aktenstudium, gekrönt von einem kleinen Schwarzen sitze, um Unterstützung. Das Geschrei, in hohem Staccato geht weiter. Immer wieder diese Tassen zerren an den Nerven. Das gute Zureden bringt nichts. Auch das Glas kalten Wassers, kredenzt auf einem kleinen Silbertablett, einem Geschenk eines dankbaren Kunden dem wir einst helfen konnten, ergibt keine Veränderung. Tassen, Tassen, jede Frage wird erneut mit dem nicht alle im Schrank beantwortet. Ich sehe mir die Frau näher an. Keine Verletzung. Keine Risse im Kleid. Also psychische Gewalt von ihrem Ehemann oder Freund? Wie soll ich Seelenverletzungen feststellen! Den Polizeipsychiater anrufen? Den Notarzt? Oder ist die Person alkoholisiert. In die Ausnüchterungszelle sperren?

Aber da bin ich mir als Verantwortlicher des Kommissariats doch zu unsicher. Will die Dame (ihrer Kleidung und dem Schmuck, dem dezenten Makeup nach muss es sich um eine Angehörige sogenannt ‘besserer Kreise‘ handeln) ein Verbrechen melden, hat jede Kontenance verloren? Tassen, Tassen, ich kann das Wort nicht mehr hören. Es reisst an meinem sonst stabilen Nervenkorsett. Ich beschliesse meinen Vorgesetzten anzurufen. Auf der Notnummer. Ihn aus seinem, bestimmt verdienten Feierabend zu reissen. Er weiss mir auch keinen Rat. Empfiehlt eine weibliche Psychologin aufzubieten die vielleicht den Zugang finden kann. Ich rufe an. Sie kommt. Bittet mich um einen abgeschlossenen Raum. Ich gebe mein Büro frei. Räume die Akten hastig fort. Mit Tassenrufen folgt die Dame der Psychologin. Die Rufe werden leiser. Schliesslich, nach mehr als einer Stunde, kommen beide mit lachenden Gesichtern in den Schalterraum in dem ich, obwohl zwischenzeitlich bereits mein Dienstende eingetreten ist, ausharre.

Die Dame verabschiedet sich, ohne Tassenworte höflich von mir. Reicht mir die Hand. Die Psychologin klärt mich auf. Der Dame sei ein schlimmes Missgeschick widerfahren. Aus ihrem Glasschrank sei eine Tasse beim Öffnen herausgefallen. Auf dem Boden in Tausend kleinste Stücke zerbrochen. Es habe sich um die Hochzeitstasse der Urgrossmutter gehandelt die von Generation zu Generation vererbt werde und der einer Familiensage entsprechend der Ruf mitgegeben war, dass wer diese zerbreche Unheil, grosse Unbill erleben solle. Sie habe nicht mehr gewusst an wen sie sich wenden könne. Also habe sie die Polizei dein Freund und Helfer aufgesucht. Der Kundin habe sie den einzig gangbaren Ausweg aufgezeigt: Eine andere Tasse mit einem Tropfen edlen Kaffees auf den Namen Hochzeitstasse zu taufen und diese dann als Erbstück, samt Familiensage, an kommende Generationen weiterzureichen.

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"Tassen" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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