Kurzgeschichte der Woche

Beruf

(Aus dem Buch Sternenblumenfelder, KDP Verlag, Juli 2017, ISBN978 15218 134 23)

Gestern fragte mich die Wirtin meiner kleinen Pension, in der ich nun schon Monate lebte, nach meinem Beruf. Sie brauche die Angabe fürs Fremdenmeldeamt. Obwohl ich zwischenzeitlich ja kein Fremder mehr sei. Ein Lachfältchen erschien oberhalb ihrer rechten Augenbraue. Ein Beamter sei morgens da gewesen. Das Lachfältchen verschwand.
Ich müsse mir die Antwort noch überlegen. So aus dem Stegreif das Richtige richtig ausgedrückt zu nennen, da die Angabe ja sicher für ein Register bestimmt sei, also amtlich werde, sei ein schwieriges Unterfangen. Ob sie mir bis morgen Zeit geben könne, bis morgen beim Frühstück?
Das gehe in Ordnung, sagte sie, der Beamte komme sowieso erst gegen halb zwölf am nächsten Tag, auf seinem Fremdengang, wie er das Einziehen der Meldezettel zu bezeichnen pflegte.
Beruf? Schlaflose Nacht. Domscheibenwart? Bedurfte der Erklärung. Dagegen sprach zudem noch das Geheimnis. Lehrling? Dazu war ich im landesüblichen Sinne zu alt. Würde mir niemand abnehmen.
Stand auf. Auf meinem heute schlaflosen Pensionsbett. Ging hin zu meinem Löwenzahn. Sattgelb strahlte er mich an. Ihn, den ich als Einziges von meinem Balkon geholt hatte. Nach meiner neuen Verpflichtung. Nach Ergreifen des neuen Berufs. Einzig der Geruch der Chemikalien des Putzinstituts fehlte mir in meiner neuen Bleibe. Und so schlich ich, um mich heimatlich zu fühlen, sobald dieses Verlangen in mir aufkam, am Putzkeller des Doms vorbei, atmete einige Male tief ein und begab mich dann in den Sakralraum, um meinen Pflichten nachzukommen.

Im Dom galt ich zwischenzeitlich als tief gläubiger, oft mit dem Blick nach oben meditierender junger Mann, der als Ausnahme die Regel dieser glaubensfremden Zeit bestätigte. Was für einen Beruf sollte ich angeben? Welcher war glaubwürdig? Welcher rechtfertigte möglicherweise, ein Leben lang in dieser Stadt zu bleiben?
Zurück aufs Bett! Döste kurz ein. Berufe stellten sich vor meinem inneren Auge auf. Klauenschneider. Kassenschmied. Alchemist. Treidelpfadpferdeführer. Exorzist. Basalt Schnitzer. Wasserradeinrichter. Klöppler. Töpfer. Nadelmacher. Glasbläser. Kunstscheibenfertiger.
Ich schreckte auf. Auffallend, wie viele Berufe es nicht mehr gab! Höchstens in ihrer kunsthandwerklichen Form sich weiterhin ihre Existenz hartnäckig bewahrten. Was, wenn, was anzunehmen war, auch heutige Berufe sich nur noch so erhielten? Kunstbeamter, der die Kunst des Verwaltens zur Perfektion gebracht hat. Kunstpolitiker, der kunstvoll Räume schmiedet und künstliche Macht ausübt. Kunstredner, der mit künstlichen Worten redet.

Gäbe es, wenn Menschen keine Kriege mehr führten, Kunstsoldaten, Kunstgeneräle, Kunstsergeanten? Die machtvolle Machtspiele spielen würden. Besetzen, Töten, Vertreiben auf einem Kunsthandwerkermarkt. Selbstverständlich in sublimierter Form und nur zur Veranschaulichung der Geschichte. Und wenn Menschen kein Fleisch mehr ässen, gäbe es dann Kunsthandmetzger, die an kleinen mechanisierten Kühen Schlagbolzen anlegten?
Kunsthandmetzger, diesen Beruf konnte ich angeben! Und wenn der Beamte ihn hinterfragte, konnte ich entgegnen, er sei erst im Entstehen begriffen und hauptsächlich unter Vegetariern verbreitet, die mit ihm altes Schaffen ehren und aufrechterhalten wollten. Ohne diesem Schaffen zu verfallen. Als Mahnmal sozusagen.

Ich entschied mich. Um drei Uhr dreiundfünfzig. An diesem Mittwochmorgen. Für den Kunsthandmetzger. Weil mein Freund sich nur von Sternenblumen ernährt. Und der Bedarf nach Fleisch uns wiederum gegeben ist. Aber auch als Gegenstück. Als Gegenstück zu meiner jetzigen Aufgabe. Als fleischliches Gegenstück. Kunstfleisch zwar. Aber doch Fleisch, aus dem ich und meine Welt bestanden. Endlich konnte ich schlafen. Tief. Bis tief in den Morgen dieses Mittwochs meines Lebens.
Stand auf. Kam rechtzeitig zum zweiten Frühstück der Pension, das Gabelfrühstück genannt und von den Pensionsgästen äusserst geschätzt wurde, ja den Ruf der Pension bis weit über die Stadtgrenzen hinaus trug. An meinem Stammplatz lag neben der Gabel und dem Messer, die -- auch das eine Pensionstradition -- beim Gabelfrühstück beide auf der linken Seite angeordnet waren, wie jeden Morgen mein Leibblatt und auf dem Teller das amtliche Meldeblatt. Rechts neben dem Teller ein Kugelstift mit dem Werbeaufdruck des der Pension gegenüberliegenden Gemüsegeschäfts. Eine Aufmerksamkeit der Pensionsinhaberin? Ober wohl eher der leise Zwang, mich nun endgültig zu entscheiden. Meinen Beruf zu wählen. Mein Leben in geordnete Bahnen zu bringen.




Dreisatzroman der Woche

S E E L E N B L U M E N W I E S E

Ich pflücke Blumen auf den Feldern meiner Seele, binde sie zu einem bunten Strauss.

Wunder um Wunder in der Hand, trete ich an den Gang in tiefe Nacht.

Der Blumen Duft geleitet mich hin zum hellen, warmen Lebenstag, an welchem neue Blüten spriessen in Deiner wundersamen Seelenhand.


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Einige Kommentare zu dieser Kurzgeschichte:

Am 18. August 2017 schrieb H.K.:

"Mein lieber Herr Loeb, Sie sind ein Träumer von Beruf, ein phantasiebegabter, präziser Künstler, der unübersichtliche Schubladen mit unüblichen Begriffen am Lager hat. "

Am 18. August 2017 schrieb P.S.:

"Auf meinen Berufsreisen in halb Europa war das mit den Meldezetteln so eine Sache. Da ich immer am selben Ort das selbe Hotel vorbestellt hatte, musste ich aufpassen was ich als Beruf einschrieb. Das war unter anderen Büstenhalter, Flugzeugweichensteller, Katzenjammerer, Global Aspirant. Uva. Nie erhielt ich eine Nachfrage innert 40 Jahren. "


"Beruf" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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