Kurzgeschichte der Woche

Neujahrsgrüße

(aus dem entstehenden Band EINSEITIGE KRIMINALGESCHICHTEN)

Wie üblich überquillt mein Briefkasten vor Neujahr. Glückwünsche über Glückwünsche entsteigen ihm beim Leeren am frühen Vormittag. Der Postbote geht gebückt von meiner Behausung weg. Also muss es anderen Einwohnern des Dorfes ähnlich gehen wie mir. Den Wulst aus Papier und Kartonagen unter dem Arm klettere ich die steile Holzstiege in meinen Küchenwohnraum in dem der Herd muntere Geräusche von sich erwärmender Suppe und knisterndem Holz, als sei er ein Kammerorchester, von sich gibt. Der Holzlieferant lässt seine besten Wünsche an mir abprallen. Der Gemüsehändler wünscht ein Karottenfarbiges neues Jahr. Mein ferner Neffe aus Amerika wisht ohne Besen HAPPY NEW YEAR. BONNE ANNÉE der Weinlieferant aus dem Burgund. Der Metzger meint auf seiner von einer Künstlerin gestalteten Karte: Wurscht wie das Jahr wird, die HAPPY-WURSCHT bleibt WURSCHT! Und so fort. Und so weiter. Ein Kalender ist dabei für das neue Jahr von denen ich bereits dreizehn besitze. Ein Tabakmuster für den treuen Pfeifenraucher. Ein Gutschein zum Eintritt ins Wellenbad, gültig nur am Montag früh, soll das neue Jahr taufen, wie es blumig heisst. Ein Dandy-Handy wird angeboten. Ein Tauchsieder, der an alte Zeiten erinnert, soll das Jahr zur Herzenswärme bringen, wie in frühen Jahren Ihrer Existenz‘ und nur siebenundzwanzig Treuepunkte kosten.
Ich öffne das Törchen zur Küchenofenhölle, füttere die Glut mit dem Gelesenen, die sich gleich in hellen Flammen dankbar zeigt. Habe erst die Hälfte der Umschläge durchgearbeitet.
Pause. Habe ich echt verdient! Setze mich hinter meine Tasse Tee. Ein Schuss Kräuterfeuer in ihn giessen. Ahh das brennt innerlich! Ich brenne dem neuen Jahr nun richtig entgegen. Da klopft es heftig an die Holzeingangstüre. Nehme mir Zeit. Erneut die Stiege. Mag das nicht. Unten angekommen sehe ich nur Reifenspuren im Schnee.

Ein Zettel an der Türe fordert mich auf noch heute eine dringende Eilsendung in der Stadt abzuholen. Denkste, meldet mein Kopf, den wärmesüchtigen Gliedern ein körperliches SMS. Bin einverstanden quittiere ich. Steige erneut mühsam hoch. Setze mich hinter meinen Tee. Giesse noch einen Schluck Feuerwasser in die Tasse. Nehme den nächsten Schluck. Wohlig warm ist mir. Werde die restliche Post dem Feuer übergeben. Fühle mich in der Rolle des Neujahrsgrusszensors allmächtig. Öffne den Feuerschlund der mich mit Funken um Nahrung bittet. Rein damit! Hell erleuchtet der Ofen. Der Zettel an der Türe lässt mich nicht los. Wer sendet mir einen Eilbrief? Einen eingeschriebenen gar. Sonst hätte der Eilbote ihn unter die Türe geschoben. Werde das neue Jahr nicht ohne Antwort auf diese Frage gemütlich begehen können. Der Neugierwurm beginnt mein Hirn anzuknabbern. Was steht in diesem Brief? Kündigung des gemütlichen Zuhauses? Todesfall. Erbschaft aus Amerika? Unglücksfall? Aber ich habe ausser dem mausearmen Neffen niemand Nahes mehr! Lotto-gewinn? Einen Glückwunsch zum neuen Jahr kann es ja nicht sein. Wer würde sich einer solchen Mühe unterziehen?
Ich muss los. Packe die Fellstiefel. Schlüpfe rein. Frische Luft wird mir guttun sagt meinVerstand um mich anzutreiben. Wieder die Stiege … Rutsche aus … NEEEINNNN …
Meldung an die Oberlandespostdirektion der Hauptpost:
‚Leider konnte der Brief eines tragischen Unfalls des Empfängers auch nach dem dritten Zustellversuch nicht ausgeliefert werden. Wurde durch den Versiegelungsbeamten mit richterlicher Erlaubnis geöffnet. Der Inhalt lautet: „Dieses Jahr fällt Neujahr aus. Bitte vernichten Sie alle Wünsche. Diese sind amtlich nichtig.“ Wir bedauern die Nichtzustellung. Gezeichnet Hauptpostdirektor Bümper‘

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Ein Kommentar zu dieser Kurzgeschichte:

Am 30. Dezember 2016 schrieb ein anonymer Leser:

"Ich warte jede Woche mit Spannung auf die Geschichte, würde sie sehr vermissen wenn es sie nicht mehr gäbe. Alles gute für 2017 und weiter so."


"Neujahrsgruesse" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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