Kurzgeschichte der Woche

Socken-Geschick

“Aus den Socken, aus dem Sinn”, sagt mein Kollege der Oberlehrer, als er mich aus dem Lehrerzimmer zu meiner Klasse gehen sieht. Aus den Socken aus dem Sinn, was für ein Unsinn! Ist er nicht mehr bei Trost? Kann ich mir Hoffnung ausrechnen seine Stelle mit dem höheren Gehalt bald in der Socke zu haben? Benötigen könnte ich den Zustupf wahrlich gut. Denn es fehlt an allen Ecken und Enden. Meine Frau muss auch immer Socken mit der hölzernen Kugel stopfen statt diese, wenn zerlöchert, einfach dem Waschmaschinengeist zu opfern, der so gerne einzelne Stücke zu sich nimmt, sodass ich mich darob schämend, oft mit verschiedenfarbigen Socken ausgestattet, im Lehrerzimmer erscheinen muss. Dort alle Augenpaare, insbesondere der meiner Kolleginnen, an meinen Füssen wie Reißnägel heften sehe. Bezieht sich des Oberlehrers Bemerkung auf meine Fußkleidung? Doch ein Blick genügt um zu beweisen, dass heute alles in Ordnung, auch keine unregelmäßigen Stopfstellen zu erkennen sind.

Was soll denn dieser Unsinn? Unsinn der keinen Sinn ergibt. Oder etwa Sinn der kein Unsinn darstellt? Verunsichert betrete ich mein Klassenzimmer in dem ich Quartaner in Latein unterrichten soll. Angehende Ärzte. Rechtsanwälte. Philologen. Romanisten. Kaum aber Romantiker deren unsere heutige Welt bedarf, um den Globus umzupolen, die Zukunft unserer Spezies sicherzustellen. Lautes Schwatzen empfängt mich. Kichern. Rufe von hinten nach vorne. Mein Tisch ist das Ziel. Ich eile darauf zu. Verlange RUHE! Sie tritt augenblicklich ein. Autorität besitze ich also noch. Mein Tisch aber sieht anders aus als gestern. Verwandelt. An was kann das liegen? Mit leisem Schrecken stelle ich fest, dass seine vier Beine in verschiedenfarbigen Socken stecken. Ein Schülerstreich? Doch kein Kichern der Mädchen, kein Schenkelklopfen der Jungs weist in diese Richtung. Aber es kann nichts anderes sein. Oder macht sich das Lehrerkollegium in dieser Weise über mich lustig, gibt mich damit der Lächerlichkeit preis.

Meine Finger fahren kämmend durch meinen immer noch dichten Haarschopf. Ich lege meine Bücher auf den Tisch. Drehe mich zur Klasse hin. Der Blick wirft mich beinahe aus den Socken. An allen Pulten sitzen, oder stehen sie, paarweise lange, lange Socken. Hübsche in allen Farben. Hässlich gestopfte. Umgedrehte. Solche mit Außennähten, die innen sein sollten. Aus den Socken aus dem Sinn … ist das des Rätsels Lösung? Ich mache mich schnurstracks auf die Socken. Lasse Oberlehrer, Schülerschaft, mein besocktes Lehrerpult und die gesamte Sockenschaft hinter mir. Verabschiede mich in den Unruhestand, der in der örtlichen Sockenstrickerei enden dürfte, in der ich in deren Lager, den Socken beim Zusammenstellen der Sendungen Latein beizubringen versuchen werde, wohl mit gleichem Erfolg wie den angehenden Ärzten, Rechtsanwälten, Philologen, Romanisten … nur werden auch hier keine so notwendige zukünftige romantische Socken unter ihnen an Lager sein. Schade!




Dreisatzroman der Woche

D E R  A L T E  B A U M
(Ode an den Seestrandbaum)

Er knarrt im Wind der alte Baum, wiegt sich in seinem Jugendtraum, wissend, dass die Äste schwer, sich fürchtend vor dem Sturm.

Da setzt ein Sonnenstrahl sich auf seiner Krone Haube, richtet wohlig ein sein Heim; heiß und kalt durchfährt es den alten Baum bis in seine Wurzeln: „Ja, so war es, ja, so soll es auch in Zukunft sein!“

Und als des Tages Abend kam, kehrte der Sonnenstrahl heim und der Mondensichelstrahl erschien und verklärte dem Baum den Weg zu seinem Traum vom Kronensonnenstrahl - dem Baum wird Nachtens ohne Angst erneut jetzt wohlig warm.


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Einige Kommentare zu dieser Kurzgeschichte:

Am 17. Februar 2017 schrieb M.L.:

"Herrlich! Socken, Socken, - ich bin jetzt so was von den Socken ! Danke für die Socken- Schmunzel-Geschichte. "

Am gleichen Tag schrieb E.H.:

"So viel Phantasie zu haben, um immer wieder etwas Neues, Unerwartetes, Lustiges, zum-Nachdenken-anregendes finden zu können ist schon ein Geschenk! Danke dafür! "


"Socken-Geschick" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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