ZEITZUCHT Im geheimen Laboratorium auf dem Mount Rich in Parasanien steht ein von der Armee bestens bewachtes Gebäude. Keine Fenster hat es. Eine Panzertüre die einzig durch eine Schleuse betreten werden kann, die sich Im überfluteten Staubecken unterhalb des Berges befindet erreichbar ist. Als Gast des Präsidenten fiel mir die Ehre zu diese geheimste Lokalität in Augenschein nehmen zu dürfen. Zuvor hatte ich mit dem mächtigsten Mann der Welt diniert, höfliche Floskeln ausgetauscht und auch einen streng geheimen Vertrag zur Zusammenarbeit unserer Geheimdienste unterzeichnet. Daraufhin zeichnete mich der Präsident mit dieser Ehre aus, ein Augenzeuge seines Projekts an dem Generationen von Wissenschaftlern sich die Zähne ausbissen zu besichtigen. Letztere war kein grosses Drama, hatten die Hochschulen doch zuvor dafür gesorgt, dass mittels eines ebenfalls geheimen Serums – alles dürfe man nicht preisgeben hatte der Staatschef mir vor einer Stunde dargelegt – den beteiligten Menschen Zähne nachwuchsen, alle Ausgebissenen, wie er betonte, keine anderen, sodass die weitere Forschungsarbeit ungehindert ihren steinbeissenden Weg nehmen könne. Nach meinem Tauchgang, ich hatte einen schweren Taucheranzug mit Helmglocke anzuziehen, erreichten wir – ich und mein Privatsekretär- ein helle erleuchtetes Tor über dem fein ziseliert in Neonleuchtschrift die Worte standen ‚ZEIT IST WEIT‘. Unser Begleiter, ein martialisch aussehender Oberst in einer schmucken Uniform – er stellte sich mit Hakenschlag, als Oberst Leiher des 2. Sekundenregiments, Teil der 5. Minutendivision innerhalb des Stundenkorps vor – betätigte ein Komplex anzusehenden Mechanismus, er betonte es sei ein Zeitschloss dessen Code nur ihm alleine bekannt sei und einzig in gewissen Zeitabständen, gemessen in Hundertstelsekunden, wie beim Spitzensport, zu lösen sei. Nun, scheinbar hatte der Oberst eine feinfühlige Hand und ein perfektes Zeitgefühl, denn die Türe, nein, es war eher ein Tor, schwang schwungvoll auf und liess uns flankiert von salutierenden Wachen eintreten. Zuerst führte uns der Offizier zum Sekundeninkubator, dem wir durch ein kleines Sichtfenster, ähnlich einem Minibullaugen, in die Innereien blicken konnten. War das ein Aufruhr den wir erblickten! Zeitelemente es musste sich um Tausendstelsekundenbruchteile handeln, rangen miteinander, beschimpften sich, kämpften in Kohorten, versuchten sich gegenseitig umzubringen, um dann nach kaum erkennbaren Augenblicken sich zu umarmen, in wilde orgastische Bewegungen zu verfallen. Unser Führer bat uns ob des der chaotischen Zustände nicht zu erschrecken, Zeitzucht sei keine einfache Aufgabe und setze ungeahnte Kräfte frei. Er schob uns rasch vom Inkubator weg, von dem eine lange Röhre zu einem Raum führte der mit Regalen vollgestopft war. „Hier ruhen sich die Elemente nach getaner Schlacht aus. Dürfen sich erholen. Reiner Stickstoff beruhigt sie, denn wir wollen ja nicht stürmische Zeiten hervorbringen, vielmehr geht es uns ums Beruhigen, in geordnete Bahnen lenken, auf dass der Weltenlauf sich so gestalten lässt wie unser Präsident sich das erhofft. Lasst uns“ mit einer weit ausholenden Armbewegung lud uns der Oberst ein ihn in den nächstem Raum zu folgen, „jetzt in den Rohstoffraum gehen in dem der Zeit menschliche Züge verliehen wird“. Wir sahen vor uns einen Raum, mit rotem Plüsch ausgeschlagen, einem Wiener Kaffee ähnlich, mit runden Tischchen, Plüschsofas, Lehnsesseln. In ihnen sassen Menschen, jeder ein Tässchen vor sich, an denen sie wie auf Kommando nippten. „Sie trinken jetzt die tiefgefrorenen Sekundenbruchteile aus dem Lagerraum, verinnerlichen diese und verleihen diesen die vom Präsidenten gewünschten Züge.“ An jedem Stuhl, an den Sofasitzplätzen waren Namentäfelchen angebracht. Der Oberst führte uns an einen freien Tisch, bat uns Platz zu nehmen. Voller Erstaunen las ich meinen Namen. In Goldbuchstaben gestanzt. ‚Die Zeitzüchter sind doch perfekt organisiert. Und sage da noch einmal einer unsere Zeit sei chaotisch‘, dachte ich. Der Oberst jetzt hatte er eine Kellner Schürze umgebunden, stellte ein Tässchen vor uns hin. Und seitdem trinke ich im Takt der Insassen meine Sekundenbrühe. Bin ins Reich der Zeit einverleibt. Für ewig, denke ich. Doch was ist ewig? Doch auch nur Zeit. 1