Die Fliegensprache ist nicht einfach zu erlernen, das versichere ich Ihnen nach meinem jahrelangen Studium um dieses Idiom zu erlernen. Ich hatte mich als Knecht an einen Bauern verdingt, der seine Arbeiter im Kuhstall schlafen ließ. Mir kam das wie gerufen, denn um diese Sprache lernen zu können, benötigte ich möglichst viele dieser Plagegeister. Und das hatte ich auf diesem Bauernhof im Überfluss. Zuerst beobachtete ich jede Fliege in meiner Freizeit, wurde dann mutiger, tat das auch in der Arbeitszeit setzte sich ein solches Wesen auf meine Haut, verscheuchte ich es nicht, nein, ich sprach in meinem freundlichsten, ja liebevollen Ton zu ihr. Doch selbst das half kaum. Eine kleine Bewegung und die Fliege sauste davon. Kein Vertrauen, war mein wissenschaftliches Fazit. Also musste ich vorerst vertrauensbildende Maßnahmen ins Auge fassen. Doch mit welchen Mitteln kann ein Mensch das erreichen. Ich studierte Dutzende von Büchern wie ein wildes Tier zu zähmen sei. Wobei ich zum Schluss kam, dass zähmen das falsche Wort sei. Da ist Zwang dahinter. Wird Gehorsam gefordert. So kann kein Eindringen in eine andere Existenz erfolgen. Sogleich wäre ein Rückzug in die Unvertrautheit die Folge.
Da lobte ich mir das Buch des so einmaligen Schriftstellers und Zeichners Antoine de Saint-Exupéry der in seinem DER KLEINE PRINZ den Fuchs durch den kleinen Prinzen ‘apprivosier’ ließ, was nichts anderes bedeutet als sich vertraut machen. Ich hatte also, wollte ich mich der Fliegenwelt nähern, den Störenfrieden Vertrauen einzupflanzen. Doch wie war die existenzielle Frage, der ich Monat um Monat, Tag und Nacht, während der harten Arbeitszeit bei kläglichem Lohn und nachts in meinen Träumen nachhing, zu lösen? Chemische Mittel, Infusionen kamen der Wildheit der Geschöpfe nicht in Frage, denn wie sollte ich die Chemiekeulen applizieren ohne dass die fliegende Stalleinwohnerschaft daran zu Grunde ginge und jegliches Vertrauen dadurch auf immer zerstört würde. Ich hatte also einen anderen Weg zu beschreiten. Wie nur, dachte ich an einem Sonntag an dem ich nur vier statt zwölf Stunden, von meinen Forschungsobjekten umschwirrt, zu arbeiten hatte, wie kann es einem Flohzirkusdirektor gelingen seine Flöhe abzurichten, auf dass diese auf sein Kommando hörten. Doch ich verwarf augenblicklich den Gedanken, denn Zwang und Gehorsam konnten nicht zur erwünschten, Fliegen-Sprach-Kenntnissen führen.
Eines solchen Sonntags, wir hatten mit unserem Chef immer einen Kirchgang, ob wir wollten oder nicht, zu absolvieren, sprach ich nach der Predigt, die sich um die Liebe zu anderen Lebewesen drehte, mit einer Kirchgängerin die mich auf die Hirnrieder Methode ansprach. Hirnrieder? Nie gehört erwiderte ich ihr. Sie meinte ich solle mich unbedingt damit befassen. Es sei eine geniale Sache. Dadurch hätte sie gelernt sich in andere Menschen einzufühlen, seither sei ihre Ehe so viel harmonischer geworden. Sie verstehe jetzt den Ehemann und die Kinder in einem Masse wie zuvor nie gekannt. Wenn ich wolle, bot die Frau mir an, bringe sie mir am kommenden Sonntag die recht teuren Unterlagen, zwei Bücher und sechs DVD’s zur Ansicht, ja zur Leihe, denn sie habe den Inhalt der Hirnrieder Methode so verinnerlicht, dass sie keiner Hilfsmittel mehr bedürfe. Zumindest jetzt. Aber man könne nie wissen was das Hirn mit einem treibe, sie wolle dann alles wieder zurück. Nur für den Fall aller Fälle, der hoffentlich nicht eintreten werde. Ich willigte ein. Erhielt die Unterlagen am darauffolgenden Sonntag in der Kirche. Versprach alles fein säuberlich, spätestens am vierten Sonntag ab diesem, zurück zu erstatten. Setzte mich am gleichen Tag noch hin. Begann mit der Lektion eins der Hirnrieder Methode. Sah beim Einstieg, dass ich dieses Studium hauptamtlich zu absolvieren hatte. Kündigte meine Stelle. Kaufte ein Zelt. Bat den Landwirt mir als Abschiedsgeschenk die Hälfte seines Miststocks zu schenken, was er unter heftigem Kopfschütteln und der Bemerkung “Dich hab ich sowieso nie verstanden du Fliegenfreund”.
Ich transportierte die Gabe zu meinem neu erworbenen im nahen Wald aufgestellten Zelt. Verteilte den Inhalt des Stocks rund um meine neue Arbeit- und Schlafstätte, sodass zahllose Fliegen mich begleiteten. Dem Bauern abhandenkamen. Dazu hatte ich mir zahllose dicke Wälzer im Buchantiquariat, in das ich beim Besuch einige Fliegen importierte, über Fliegen erworben. Enzyklopädien. Spannende Fliegenanatomiewerke. Und dann noch ein englisches Werk mit dem Titel ‚THE FLY‘ von George Langelaan das auch in den 50ern des letzten Jahrhunderts verfilmt worden ist, wie ich mit großem Interesse las. Der Inhalt ließ mich nicht mehr schlafen. In einer kurzen Sommernacht verschlang ich diesen Text, in dem ein Mann mit Vornamen François (weshalb der gleiche wie meiner blieb und bleibt mir ein Rätsel) in einem Körper-Beam-Versuch (der mich an die Sciencefiction Serie Star Treck erinnerte) seines Bruders einen Fliegenkörper erhielt, da eine einfache Stubenfliege in den Sende-Beamer geraten war. Jedenfalls war es das erste aufregende Buch meines Fliegenstudiums, das mich aber keinen Schritt weiter brachte.
Je mehr ich mich aber mit wissenschaftlich fundierten Texten in die Materie einarbeitete verstand ich, sollte ich die geflügelten Wesen besser verstehen wollen, ich mich nach der Hirnrieder Methode in sie zu versetzen hatte. Gleich denken musste. Gleich fühlen. Gleiche Bedürfnisse entwickeln. Bei der sechsten DVD und der Seite 1896 des Begleitbuches juckte mein Rücken in einem Maß, dass selbst das Kratzen keine Erlösung brachte. Als ich am darauffolgenden Morgen aufwachte, spürte ich etwas Ungewohntes an meiner Rückseite. Das Jucken war verschwunden. Doch als ich mit der Hand nach hinten griff ertastete ich zwei Flügel die sich in Dauerbewegung befanden. Als ich mich dann rasieren wollte, sah ich im Handspiegel eine Fliegenschnauze. Jetzt wusste ich dass ich mein Ziel erreicht hatte. Und sogleich setzte sich ein recht großes Exemplar neben mich. Begann ein Summen und Brummen das ich, oh Wunder, bestens verstand. Sie wollte sich bei mir Rat holen. Hatte einen schillernden blauen Hinterteil, sehnte sich nach einem roten. Da war guter Rat teuer, ich empfahl ihr die Hirnrieder Methode zu studieren, dort würde sie bestimmt fündig. Sie bedankte sich artig. Flog davon. Unangenehm bleibt mir nur in meinem Fliegenhaupt der Gedanke, wie ich es zustande bringen solle die Unterlagen der Hirnrieder Methode der netten Dame zurück in die Kirche zu bringen, habe ich doch jede menschliche Form verloren und fürchte mich unsäglich vor Fliegenklatschen die selbst im Gotteshaus im Einsatz sind...
Dreisatzroman der Woche
H Ö R E R
Was ist der weiße Hörer doch für ein Störer
Ich schneid die schwarze Strippe einfach ab, klapp, klapp
Ruhig ist es, der Mond scheint Hölle, Stille in meinem Hirn schlägt eine arge Dölle.
"Mein lieber Herr Loeb, Kafkas Gregor Samsa im 21. Jh. lässt grüssen, natürlich ganz anders und realistischer. Ihre bekannte Phantasie/Fantasie! Die Fliegen haben menschliche Wünsche,. s. die Farbe. Ja, was soll mit den Unterlagen passieren... Ihre Pointen lassen Luft und Raum für die Weiterentwicklung.
"
Am gleichen Tag schrieb M.L.:
"Eine herrliche Geschichte!
Oh weh, jetzt habe ich es schwer! Bisher konnte ich Fliegen überhaupt nicht leiden und machte ihnen das Leben schwer. Freute mich, wenn ich eine erwischte
und ihr Leben beenden konnte. Wenn ich jetzt eine sehe, denke ich – es könnten ja Sie sein lieber Francois Loeb –.
Was mache ich nur? Wissen Sie Rat?
Sonnige Grüße, aus einer z.Zt. fliegenfreien Umgebung –'Ich lüge nicht'-
"
"Hirnrieder-Methode" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:
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Nach langem Fussmarsch erkenne ich auf dem Strässchen ein grosses, mit roter Farbe aufgesprühtes P. Es wird sich um Arbeiten im Boden handeln, denke ich....