“Das mit den Zellen ist schon bemerkenswert. Ungewöhnlich. Unangenehm bis zum geht nicht mehr!“ ”Mein Nachbar an der Bar wischt sich bei den Worten den Schaum von den Lippen. Stellt seinen Humpen mit einem leisen Knall auf die Theke. Schaut mich dabei eine Frage erwartend an. Diesen Gefallen werde ich ihm nicht angedeihen lassen. Kann man denn einen Gefallen angedeihen? Ausleihen? Nun sei es wie es sei, ich bleibe stumm wie ein Fisch. Woher kommt dieser Ausdruck? Fische kommunizieren doch auch untereinander. Ich denke an Tümmler. Delphine mit ihren Pfeiflauten. Ihrem Klirren. Aber Delphine sind Säugetiere. Keine echten Fische. Flossensprache? Soll ich dem Nachbar mit den Flossen antworten? Nachbar? Zellennachbar. Spüre nach meinem dritten Whiskey Sour wie der mir langsam zu Kopfe steigt. Keine Lust auf Konversation. Bestimmt nicht mit einem Knastbruder, der mich bezellen will. Doch der lässt nicht locker. Nimmt einen weiteren langen Schluck. Nein! Jetzt ein deutlicher Rülpser. Im Knast lernt man wohl nichts anderes. Und das in dieser vornehmen Fünfstern Hotelbar. Bereits schauen elegant gekleidete Damen indigniert zur Bar. Könnten den falschen Schluss ziehen ich sei der Anstandsmuffel.
Doch ich bin in feinstem Zwirn gekleidet. Einen dezenten Schlips umgebunden. Unverwechselbar edel. Muss bewundernde Blicke ernten. Aber wer weiß schon welche falschen Schlüsse Menschen ziehen. Muss mich absetzen von diesem Zellennachbar. Nehme mein Glas. Verschiebe mich um drei Hocker. Stelle mein Glas dezent auf die Theke. Doch der Kerl folgt mir. Donnert seinen Humpen lauthals auf das Teakholz. Setzt sich auf den Nachbarstuhl und beginnt erneut mich zu belabern. Ach, besäße ich doch nur Ohrenlider. Der Mensch ist einfach eine Fehlkonstruktion. Hätte so zahlreiche Verbesserungsvorschläge. Doch an wen soll ich diese richten? An wen? Nolens volens nehme ich die Worte des gewesenen oder noch aktiven Verbrechers auf. Was hat der Unmensch wohl angerichtet? Einen Mord? Steuerhinterziehung? Gar ein Sexualdelikt? Kinderpornographie. Sein stechender Blick, scharf wie ein Steakmesser, deutet darauf hin. “Wissen Sie, es ist so schrecklich”, seine Stimme überschlägt sich beinahe. Ja, schrecklich muss es im Gefängnis, im Zuchthaus sein, denke ich. “So schrecklich wie sich meine Zellen verhalten. Das kann sich niemand vorstellen. Sie werden es selbst erleben. Fortlaufendes Interesse ist das! Ich klage an. Kann doch nicht …”.
Und voller Schreck und einem unheimlichen Blutdruckanstieg stelle ich fest wie des Knastbruders, ist er das überhaupt, Zunge seinen Mund verlässt, auf Minifüsschen über die Theke wandert. Und da ahmt ein Haarbüschel sie nach! Jetzt ein Finger. Nein die ganze Hand. Unappetitlich nun, der Magen! Eine Zehe. Ein Arm. Des Nachbars Zellen lösen sich unter wüsten Kriegsgesang alle auf, wandern durch die Bar. Zu einem der gekippten Fenster hin. Und entkommen rülpsend ihrem Besitzer. Oder besitzen die Zellen uns?
"Ihre neue Geschichte ist ein richtiges philologisches Vergnügen: Homonymie, Assoziationen, horrormässige Folgen, wie in den Bildern von Hieronymus Bosch. Wie stets Überraschungen, diesmal für starke Nerven. Sie sollten Drehbücher für einen neuen Hitchcock verfassen!
"
"Zelle" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:
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Nach langem Fussmarsch erkenne ich auf dem Strässchen ein grosses, mit roter Farbe aufgesprühtes P. Es wird sich um Arbeiten im Boden handeln, denke ich....