Kurzgeschichte der Woche

Zeitfalle

Aus ZEITWEICHEN; Allitera Verlag, München, François Loeb, ISBN 978-3-8690-6927-2

Mit Käse fängt man Mäuse«, sprach mich der alte, bärtige Mann an, der auf der Parkbank saß, auf der ich mein Mittagsbrot verzehrte. Nun, Mäusemord zum Mittagstisch – und das noch ohne jeden Tisch – fand ich nicht appetitanregend und so nickte ich nur leicht und sah weg, in die andere Richtung, in die Richtung, in der eine Schar Kinder, unsere Zukunft also, lauthals tobte. Doch der Alte ließ nicht locker. Musste wohl einsam sein. Denn kaum hatte er seinen Mäusesatz beendet, hob er erneut an: »Ich habe zahllose Nagetiere so gefangen. Doch seit genau dreihundertzweiundneunzig Jahren und dreizehndreiviertel Monaten fange ich Sekunden und Minuten, Stunden, Tage und Wochen!« Der Mann muss nicht bei Sinnen sein, dachte ich und nickte erneut leicht, denn was sollte ich mit ihm über solche monströse Absurditäten diskutieren. Jedem Tierchen sein Pläsierchen, ging mir durch den Kopf. Soll er doch! Schadet ja niemandem, seine Zeitjagd, und falls sie ihm hilft, seine Angst vor dem Sensenmann zu vertreiben, umso besser für ihn. Geht mich ja nichts an. Zeitjagd, dass ich nicht lache! Ohne darauf zu achten, dass ich wieder die herumtobende Bande Schüler beobachtete, setzte er erneut an: »Nicht mit Käse jage ich. Nein! Die Zeit mag keinen Käse. Schmeckt ihr nicht. Die Zeit locke ich mit Neuigkeiten. Ja, da staunen Sie.«

Ein leises klirrendes, lachähnliches Gurren entwand sich dabei seinem Mund und er fuhr fort: » Ja, wissen Sie, die Zeit ist entsetzlich durstig nach Neuem. Nach Aufregendem. Nach Adrenalinstössen. Verstehen Sie jetzt unsere Zeit besser? Sehen Sie sich doch täglich die Nachrichten, die Zeitungen an. Tagesschauen. Netzplattformen. Neues, Neues muss her. Immer wieder Neues. Früher waren es dreiköpfige Zwillinge. Heute ist es die neuste Terrortat. Ja, die Zeit ist so durstig. Will ihr Futter haben. Ich fange sie damit und bleibe jung«, wieder dieses gutturale Lachen, »denn die gefangenen Zeiteinheiten«, fuhr der Alte fort, »ja, die hat die Zeit mir als Lösegeld zu zahlen. Mein Alter – das werden Sie nicht glauben, so ist es aber – beträgt heute dank der Lösegeldzahlungen genau siebentausendzweihundertdreiundfünfzig Mondjahre. Ja, da stauen Sie. Hätten Sie mir nicht gegeben. Auch die Zeit hat heute Geburtstag. Sie ist meine Zwillingsschwester. Erzeugt durch Steinzeitmenschen.« Der muss wirklich nicht bei Trost sein, dachte ich und wendete mich erneut, einen großen Bissen meines Brots dabei in den Mund steckend, von dem Irren ab, hin zu der Kinderschar.

Doch ein klirrendes Geräusch, es war nicht des Greises Lachen, ließ mich wieder zu ihm blicken. Da stand er schräg hinter mir und hielt, ich traute meinen Augen kaum, eine blitzende Axt in der Hand. Mit sanfter, schmeichelnder Stimme sagte er zu mir: »Sie sind das heutige Geburtstagsgeschenk für die Zeit. Das wird einen Aufruhr geben – eine sensationelle Neuigkeit: ›Mord im Park‹, ein herrlicher Zeitungsti …«




Dreisatzroman der Woche

A R C H I V

Tief in mir, sitzt die Sammelgier, sie ist bleich, hat lange Krallen, in welche meine Gedanken fallen...

Platschhhh...schon wieder ist sie Sieger, der Gedanke fort im Gestell, well, well...

Was wollt ich doch...och diese Gier, ich lebe eng mit ihr...


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"Zeitfalle" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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