Ich bin ein eifriger Zoo-Besucher. Jeden Mittwochnachmittag, da unterrichte ich nicht, begebe ich mich in den Städtischen Zoo. Von den Insassen können wir Menschen viel lernen. Sind es tatsächlich Insassen? Oder nicht eher Aussaßen. Sie müssen wissen ich bin Deutschlehrer und befasse mich mit dem tieferen Sinn unserer Sprache. Dem Unterbewusstsein der Worte. Deren Hintergründe. Vordergründliche Erinnerungen. Aber von dem wollte ich Ihnen nicht berichten. Vielmehr von diesem letzten Mittwoch. Ja, auch das Wort Mittwoch hat seinen tieferen Sinn. Jedoch wie so Vieles den tieferen Sinn verloren, ist doch der Mittwoch nicht mehr die Mitte der Arbeitswoche, sondern bereits ein Vorschein des Wochenendes. Ach, über den Vorschein könnte ich wohl einiges berichten! Will ich aber nicht. Sondern von diesem merkwürdigen Erlebnis (merkwürdig, ich habe es mir gemerkt, obwohl das ja nicht die wahre Bedeutung des Wortes darstellt) das mich letzten Mittwoch, also vor genau einer Woche heimsuchte und seitdem nicht mehr loslässt. Mich fest in seinen spitzen Krallen hält, mir entsetzliche Alpträume (oder Albträume, ganz wie Sie wünschen, ich will Ihnen kein B für ein P, oder P für ein B vorgaukeln) beschert. Nacht für Nacht. Denn wie üblich setzte ich mich auf meine Stammsitzbank (nein, diese ist nicht aus Holz, auch nicht aus einem Stamm, sondern aus Gusseisen) vor dem Affengehege um diese, unsere nächsten Verwandten zu beobachten, von Ihrem Verhalten zu lernen, oder einfach mich mit deren Kurzweil (weshalb das Wörtchen weil da besonders kurz sein soll, dahinter bin ich noch nicht gekommen) zu amüsieren.
Da setzte sich eine alte Dame mit schwarzem Kropfband (wer kennt das noch, kaum jemand der nicht so viele Jahrringe auf dem Buckel hat wie ich) neben mich. Sie roch nach einem altertümlichen Parfüm das ich einst bei meiner Klavierlehrerin, die ich wöchentlich zwei Mal an der Hand meiner Mutter als ich vier Lenze zählte ergebnislos heimsuchen musste, einzuatmen hatte. Der Geruch weckte unangenehme Erinnerungen an ein Bambusstöckchen das jeweils bei jeder falsch gespielten Note auf meine Finger niedersauste. Und als die Dame mich mit der Anfänger Etüde C Dur von Carl Czerny ansprach, warf sie mich beinahe aus dem Gleichgewicht. Gut, dass ich saß und nicht stand, so konnte ich den Stand nicht verlieren. Zwischen den einzelnen Akkorden bemerkte ich jedoch Aussagen. Sinn. Nicht sprachlichen Sinn. Den hätte ich sofort untersuchen können, nein die Schwingungen die von der Schwarzgewandeten ausgingen eröffneten eine andere Welt. Das Jenseits? Ich kann es nicht beschwören. Doch ein Schritt nach dem anderen. Ich saß wie in einem Zuschauerraum. Einem Theatersaal. Der Vorhang, rot, schwer, öffnete sich mit einem Knarren und ich erblickte eine mir vollständig unbekannte Welt. Eine Kulisse?
Dort saßen auf einer Bank (nein, kein Geldinstitut) einer Holzbank, ätherische, spinnenähnliche Wesen. Sahen amüsiert zu mir. Zeigten mit deren dünnen Beinchen auf mich. Hielten sich dabei, ich denke vor Lachen, die dicken Bäuche gaben unverständliche ultraschallige Geräusche von sich, die in meinen Ohren schmerzten. Über dem dicken roten, aufgezogenen Vorhang erkannte ich ein Schriftlaufband das, die Gespräche der Bühnenwesen wiedergab. Und da fiel mir mein Herz in die Hosen. Denn ich erkannte, begleitet von einem umwerfenden Piano-Akkord nur eins, dass ich in einem Menschenzoo und nicht in einem Zoo für Menschen saß, mein ganzes Leben gesessen haben musste und die Wesen sich köstlich über mich und meine Mitmenschen, sowie unsere Lebenskapriolen zu amüsieren wissen. Auf einem riesengroßen Abreißkalender auf der Bühne las ich unleserliche Zeichen und ein lesbares, groß geschriebenes Wort: MITTWOCH …
Dreisatzroman der Woche
S P I N N E F E I N D
Zwei Spinnen ihrem Lebenslose wollen heut entrinnen; „Schluss“, bemerken sie mit lauten Stimmen, „Schluss mit dem Spinnenweben spinnen“.
Sie springen in den Teich, wollen delektieren sich am Laich
Doch ach, die Rettungswesten dann zu gelb, oh lautestes Fanal, der Goldfisch nimmt bellend, gellend Abends sie zu seinem Morgenmahl.
"Zu Ihrer Geschichte, der dreiteiligen. Wie oft fängt sie mit einem
"unschuldgen" Thema an. Dann kommt es zu einer überraschenden Wendung,
einer Begegnung mit der eigenen Vergangenheit, die ein Gruss aus der
Unterwelt ist. Der Hades öffnet sich und wie so oft bei Ihnen, kommt es
nach dieser Kollision zu einer Krise, ganz nach den klassischen Regeln
eines Dramas, nur keine Erlösung ist in der Sicht. Bloss die bittere
Erkenntnis, dass sich der Protagonist auf einer Lebensühne befindet. Er
nimmt wahr, dass er kein vermeintlicher Zuschauer, sondern ein Akteur
ist, der keine bella Figura macht. Für ihn bedeutet es einen Alptraum,
einen Alb, wie man auf Baseldytsch zu sagen pflegt. Kann er damit
weiterleben? Dies erfahren wir nicht, die protrahierte Pointe gehört zu
Ihren Spezialverfahren.
"
Am 30. September 2017 schrieb ein weiterer anonymer Leser:
"Echly sehr kompliziert beschrieben, abweichend vom Thema: Frau auf der Bank usw . Nicht so spannend, sorry. Andere Geschichten vom Schreiber kenne ich (noch) nicht.
"
"Zoo" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:
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02. NOV 24
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Schloss Hünigen Konolfingen 18:30 Uhr
zusammen mit Stefan Heimoz