Was freue ich mich auf den heutigen Abend! Goldene Hochzeit meines Großonkels! Das wird ein Fest! Eingeladen sind wir im Hirschen. Des Schwiegervaters Jagd-Kumpan führt das Lokal. Im Angebot stets Jagdspezialitäten. Garantiert Bio. Selbst erlegt und zerlegt. Gereift. Abgehangen in des Lokals Unterwelten. Gebeizt. Mariniert. Sauciert. Mit Preiselbeeren und Wildkräutern garniert. Meine Tochter, die Großnichte des Ladenden, also verstehen Sie mich richtig nicht des Vorderladers oder Hinterladers, des Einladenden, weigert sich mitzukommen. Mit Tränen in den Augen. „Das arme Bambi“, ruft das Kind zum einen und dann zum andermal aus. „Will das nicht essen. Bekomme es nicht herunter. Armes Bambi!“ Ich entgegne tapfer, dass sie sich auch mit Preiselbeeren und den dazu servierten Spätzle satt essen kann. Tränen fließen jetzt. „Aber die Preiselbeeren haben doch dann im geschmorten Bambi gelegen. Und die Spätzle auch.“
Kann sie nicht beruhigen. Sie weigert sich ans Fest zu kommen. Obwohl eine Blockflöteneinlage mit ihrer älteren Schwester vorgesehen ist. Sinnigerweise begleitet vom Jubilar mit dem Jagdhorn, das er so meisterhaft im Wald zu blasen weiß. Vorhaltungen wie: „Du kannst die Feier doch nicht verderben! Es wird kein Bambi sein. Möglicherweise ein Hase. Oder gar ein falscher Hase. Ein Fasan. Eine Wildsau. Der Wald hat so viele Schätze.“ Das hätte ich nicht sagen sollen. Einen Aufschrei erhalte ich als Quittung! Sie weigert sich mit allen Kräften. Enteilt in ihr Zimmer. Schließt es ab. Da klingelt das Telefon im Wohnzimmer. Ich nehme ab. Die Feier ist abgesagt. Der Gefeierte sei am Nachmittag an einem Verschlucker beim Luftholen bei seiner Waldtrompetensoloprobe im tiefen Wald beinahe erstickt. Er liege im Spital, das sich sinnigerweise Waldspital, mit Sicht auf den hiesigen, jetzt im Herbst so bunten Wald, nenne. Sei dort gut aufgehoben. Würde sich, statt der zwangsläufig abgesagten Feier, über jeden Besuch an diesem seinem Ehrentag mächtig freuen. .
Ich klopfe an das abgeschlossene Tochterzimmer. Berichte über die neue Entwicklung der Festtafelfreuden und -Leiden. Der Schlüssel wird gedreht. Jubelnd fällt sie mir um den Hals. Flüstert mir ins Ohr:
„Wusste nicht dass Gedanken solche Kraft entwickeln können. Ich gehe ihn besuchen, bringe ihm einen Tannenzweig als Geschenk ins Hospital. Stimmt doch, dass erlegtem Wild - und mein Gedanke war wild - einen Zweig als Ehrung, als Versöhnung und zur Hochachtung als Gruß zwischen die Zähne gelegt wird ...