Wer kennt ihn nicht, diesen in warmer Farbe getarnten,
kalte Strafe verkündenden kartonierten Wisch, der während
jeden Spiels in der rechten Gesässtasche des Unparteiischen
seine Heimat besitzt und meist das Tageslicht erst sieht,
wenn Schlimmes vorgefallen ist. Just von diesem sonst ganz
unscheinbaren Papierchens will ich Ihnen heute erzählen.
Es war ein sonniger Herbsttag. An den Bäumen wetteiferten
die goldenen Blätter mit den Sonnenstrahlen um die
Gunst der Menschenblicke. Familien zogen, als seien sie Teilnehmer
einer Prozession, ins Grüne, um sich ein letztes Mal
vor Einbruch der Herbststürme das wärmende Licht der
Sonne auf die Haut scheinen zu lassen, bis es dann prickelnd
den Weg zu ihrem Herzen fand, und so das unbewusste, uralte,
seit über Hunderten von Generationen überlieferte Sonnengebet
anzustimmen.
An diesem Sonntagnachmittag, nach einem leichten und
doch kräftigenden Mittagsmahl trat Hieronymus Meier – er
litt beinahe seit seiner Geburt unter dem von den Grosseltern
ausgesuchten Vornamen – vor seine Haustüre, um als
Schiedsrichter das wichtige Spiel der obersten Liga des Landes
zu leiten, wohl wissend, dass er auf dem Weg in einen Hexenkessel
war, denn die zwei Mannschaften, die an diesem
Tage aufeinander trafen, mussten ihre Partie auf neutralem
Terrain wiederholend austragen und hatten sich vor der
Spruchkammer des Fussballgerichtes auf das Stadion der
Heimatstadt von Hieronymus Meier geeinigt.
Der Annullierung des Spiels waren in den Sportmedien
Gehässigkeiten vorausgegangen, das gegenseitige Schuldzuweisen
an einem in der Fussballgeschichte sicher einmaligen
Vorfall, als eine ansteckende Lachsalve jedes Weiterspielen,
selbst nach einem Unterbruch von fast dreissig Minuten, verunmöglichte.
Die Fernsehbilder dieses Matches verbreiteten
sich damals um die Welt, wie sich am frühen Herbstmorgen
Tau auf die Gräser setzt, wobei die Tragödie, nein, es war
vielmehr eine Komödie, nun, einigen wir uns auf Tragikomödie,
ihren Anfang mit dem unscheinbaren Kichern eines Kindes
auf der Haupttribüne, Reihe B-17-R, ihren Anfang nahm.
Das zumindest rekonstruierte die untersuchende Behörde in
Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen des Stadions im
Nachhinein.
Es hatte ganz harmlos begonnen, so die Experten, die den
Fall untersuchten, mit eben nur diesem Kichern. Doch, aus
welchen Gründen auch immer, übertrug sich dieses scheinbar
ohne Grund auf die Sitzplätze direkt vor dem Kind und
jene dahinter, verbreitete sich darauf nach links und nach
rechts und mottete so wie das Feuer in einem Gebälk mit
wenig Sauerstoffzufuhr vor sich hin, bis es sich dann- was die
Ursache der plötzlichen explosionsartigen Ausbreitung des
Phänomens war, konnte nicht eruiert werden –, als sei es ein
Flächenbrand, ausdehnte und die gesamte Tribüne in ihren
lächerlichen Griff nahm, die Stehplätze, die Innereien der
Arena und sich schliesslich, – hier erst trat die Tragik der
Komödie ins Spiel –, daran machte, die Protagonisten auf
dem grünen Rasen anzustecken, zuerst die beiden Linienrichter,
sodass kein Abseits mehr zur Anzeige kam, dann den
19 Torwart der Heimmannschaft, der sich vor Lachen am Boden
kugelte und in dieser Stellung, regulär angezeigt durch den
Unparteiischen, ein Tor einkassierte.
Der Trainer des Tor empfangenden Teams protestierte vehement,
zeigte auf den Torwart, rannte unter lautem Rufen
des Schiedsrichters aufs Spielfeld, während seine Assistenten
sich die wohl gestählten Bäuche hielten, prusteten und
lachten, verlangte nach der Sanität, die auch gleich mit der
Bahre erschien, diese aber, angesteckt vom jetzt dröhnenden
Gelächter des gesamten Stadions, fallen liess, um sich selbst
hemmungslos der Lachorgie hinzugeben. Der Mann in
Schwarz, er schien gegen jedes Lachen resistent, zückte die
rote Karte, zeigte sie hier- und dorthin und machte Drohgebärden,
doch antworteten alle rot Angeschwärzten, ganz
gleich ob Trainer oder Spieler, einzig mit einem Wiehern, das
einer Steigerung des Lachens alle Ehre erwies.
Nun, die Partie musste, wie bereits berichtet, abgebrochen
werden, die Zuschauer erholten sich erst nach Verlassen
des Tat-Orts von ihren Krämpfen, und die Spieler lachten in
den Katakomben unter der Dusche so stark, dass der Wasserkonsum
durch das Glucksen als Teil des Schadens glatt verdoppelt
wurde. Der Schiedsrichter aber, so berichtete er der
Fachkommission, die den Fall ins Urteil nahm, wurde erst
vierundzwanzig Stunden und siebzehn Minuten später vom
Lachen erfasst, in der Strassenbahn sitzend, auf dem Weg ins
Fernsehstudio zu einer Talkshow über den Vorfall, und musste
seinen Termin verschieben, denn wegen der überstrapazierten
Resistenz brach bei ihm eine Lachlawine gleich einem
Schneebrett an einem Felsband los, sodass er schleunigst
nach Hause fahren und sein Bett aufsuchen musste, das er
denn auch zweiundzwanzig Stunden und zehn Minuten zu
hüten hatte.
Heute jedoch, beim Nachtragsspiel auf neutralem Boden,
kommen alle bekannten Techniken (das hat Hieronymus
Meier explizit zur Bedingung gestellt, wollte man ihm die
Leitung übertragen) zur Verhinderung eines analogen Zwischenfalls
zum Einsatz: Neben einem speziellen neu und
rasch von der Industrie entwickelten Gelächterscanner, ein
Prunkstück der Technik, der bei den Eingängen angewandt
das Schlimmste verhi-verhä-verhahahahahahahahahahahahahahahaha
Geschichten
Aus: Geschichten die der Fussball schrieb: 36 Geschichten aus rundem LederVerlag Verlag: Benteli, Autor: François Loeb, Erscheinungsjahr 2008, ISBN ISBN 978-3-7165-1543-3
"Die rote Karte" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:
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Nach langem Fussmarsch erkenne ich auf dem Strässchen ein grosses, mit roter Farbe aufgesprühtes P. Es wird sich um Arbeiten im Boden handeln, denke ich....