Kurzgeschichte der Woche

Himmel gegen Hölle

Dieses einmalige Fussballspiel wollte ich keineswegs versäumen: «Himmel gegen Hölle». Auf was für ausgefallene Ideen kamen die Marketingfachleute, um Publikum zu fangen! In der ganzen Stadt waren schon tagelang die Aushänge zu sehen: Heiligenschein gegen Teufelsgabel, und beide gehen aufeinander los. Grafisch ansprechend gestaltet lockte die Werbung zahlreiche Menschen – obwohl nirgendwo verkündet wurde, welche realen Mannschaften nun tatsächlich gegeneinander anzutreten hatten,- in den Vorverkauf, der wie üblich im sechsten Stock des örtlichen Kaufhauses von statten ging.
Als ich dort eintraf, ich eilte bereits nach dem ersten Blick auf die Vorankündigung dorthin, fand ich den Ordnungsdienst des Unternehmens in hellster Aufregung, denn eine Menschenschlange hatte sich gebildet, die wie ein fetter Lindwurm bereits aus dem Gebäude quoll, und die Zugänge nicht nur des Kaufhauses, sondern auch des Bahnhofs versperrte. Es war kein Durchkommen mehr. Allein sich in die Warteschlange einzureihen, machte Sinn, obwohl die Chance auf einen Zuschauerplatz für das «Spiel der Spiele», wie es die Werbung blumig angekündigt hatte, bei der Menge anstehender Menschen auf beinahe Null zu sinken schien. Doch Wunder konnten sich bei der Spielkonstellation «Him- mel gegen Hölle», so sagte ich mir in mich hineinlachend, durchaus einstellen.

Also wartete ich geduldig, schritt Zentimeter um Zentimeter vorwärts, zuerst durch den lufterhitzten Eingang, der meine Haare zu Berge stehen liess, hin zum Treppenhaus, in dem für die Wartenden ein ausgeklügeltes akustisches Werbeprogramm in die Ohrmuscheln drang, an das Membran des Mittelohrs rieselte und dann zu Boden fiel, um schliesslich scheppernd, Stufe um Stufe, ins bodenlose Nichts der stickigen Atmosphäre zu versinken. Durch die Reihen des Menschen- Tatzelwurms ging ein Murren und Schnurren, man unterhielt sich mit Vorder- und Hintermann, wohl darauf achtend, seine hart erkämpfte Position nicht zu verlieren. Spekulationen wurden angestellt, ob das Spiel ein Scherz oder ein Ausläufer des Faschings, der Fasnachtstradition der Stadt, sein könne und weshalb so viele erwachsene Menschen auf eine solche Finte hereinzufallen in der Lage seien oder ob gerade die grosse Zahl von Wartenden beweise, dass es sich doch und real um ein einmaliges Ereignis himmlischer Vorsehung handeln könne.
Die Worte wogten durch das werbevolle Treppenhaus, gaben sich, so schien es mir, die Hand, tanzten um unsere Köpfe, lachten schallend, um sich dann in Klangmonster zu verwandeln, die kein Mensch mehr verstand: Grafistakamalosipourfiqusalamakistanoperfung reichte dem Lifrastopelgarwisitumang die Hand, worauf beide beschlossen, die Zukunft gemeinsam anzugehen, sie gaben sich das Ja-Wort, zeugten innert Sekunden Nachwuchs, der die Seiten meiner Berichterstattung sprengen würde, sodass ich mich lieber aufs Wesentliche beschränke. Nach sieben Stunden und dreiundvierzig Minuten war ich am Schalter im sechsten Stock angelangt und erwarb zu meinem grossen Erstaunen noch einen Sitzplatz auf der Haupttribüne.

Am Sonntag um halb zwei machte ich mich auf den Weg zum Stadion. Die halbe Stadt schien auf den Beinen und strebte der Arena zu. Das einmalige Spiel wollte sich offenbar niemand entgehen lassen, denn die teuflischen Finten und die himmlische Vorsehung besassen zusammen so viel Anziehungskraft, als seien die Menschen winzige Wassertropfen im weiten Meer, die bei Flut dem Strand zustrebten und nicht anders konnten, als sich dem gewaltigen Strom zu ergeben. So jedenfalls empfand ich meinen Gang durch das Gewühl von Hunderttausenden von Artgenossen und wunderte mich nur, wie die Arena, die sonst rund fünfundvierzigtausend Zuschauer aufnahm, bei diesem überirdischen Spiel so vielen Fussballpilgern Platz zu bieten in der Lage sei.
Die Lösung des ganzen Spuks fand sich beim Eingang in das Stadion. Mit Hilfe vieler Lautsprecher wurden wir dort alle aufgefordert, nach Hause zurückzukehren und das Spiel «Himmel gegen Hölle» in unserem Inneren zu erleben. Es finde daselbst täglich und ohne Eintrittsgelder statt.

Aus: Geschichten die der Fussball schrieb: 36 Geschichten aus rundem Leder
Verlag: Benteli, Autor: François Loeb, Erscheinungsjahr 2008, ISBN ISBN 978-3-7165-1543-3


"Himmel gegen Hölle" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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