Ein Anruf reisst mich aus dem wohlverdienten Mittagsschlaf. Ich halte diesen normalerweise an der Sonne im geflochtenen Gartenlehnstuhl. Und wenn die Sonne wie heute sich hinter einem Regenwolkenschleier versteckt vor dem Kaminfeuer das meine Haushälterin dann jeweils am Vormittag in Gang setzt. Die wohlige Wärme die von beiden Quellen sich meiner bemächtigen lassen mich immer träumen. Meinen oft sehr unangenehmen Beruf vergessen. Denn wer hat schon Freude an Mord und Totschlag. An den abgrundtiefen Schatten die Menschen begleiten. Zwar wird in allerlei Film- und Fernsehproduktionen ein ideales Bild unseres Berufs gezeichnet. Doch die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Nach aussen hin geben wir die abgehärteten, abgebrühten Ermittler. Im Inneren aber brodelt es stets und ich frage mich wie lange ich diesen Beruf noch ausüben kann. Werde bald meine Versetzung in das Kleindiebdezernat beantragen. Dort sitze ich dann zwar mit meiner Besoldung nicht mehr an der Sonn- viel mehr an der kalten Mondseite. Ohne Zulagen werde ich dann meinen Frieden bestimmt besser finden können. Doch das Telefongeklingel unterbricht nicht. Ich muss abnehmen obwohl mich so angenehme Wärme umgibt. Der Kühlschrank der Wirklichkeit wartet meiner als ich widerwillig den Hörer abnehme.
Die Stimme einer Assistentin tönt beunruhigend ruhig: “Eine Leiche. Kommen Sie unverzüglich ins Präsidium! Unverzüglich, der Fall duldet keinen Aufschub. Es geht um eine bestimmte Leiche. Ihre Leiche.” Und bevor ich antworten kann ertönt das Besetztzeichen. Macht sich da ein Krimineller einen Spass? Doch die angezeigte Nummer war diejenige des Präsidiums. Sind die jetzt total durchgeknallt? ‘Meine Leiche!’ Das ich nicht lache. Fühle meinen Puls am rechten Handgelenk mit der linken Hand. Und umgekehrt. Der schlägt leicht erhöht. 77 Schläge in der Minute. Kein Wunder wenn ein Anruf entgegenzunehmen ist der die eigene Leiche ankündet. Bin ich in echter Gefahr? Muss ich Personenschutz anfordern? Trachtete mir jemand nach dem Leben? Oder wollte man mir nur Angst einjagen. Jedenfalls kann ich den Anruf als seriöser Beamter nicht ignorieren. Den Polizeipräsidenten anrufen? Und wenn mein Telefon abgehört wird? Das ganze nur Provokation bedeutet. Mich aus dem sicheren Hause locken soll. Und die Mittagswärme, obwohl von brennendem Holz ausgehend, prickelt doch so wohlig auf meiner Haut. Mit Mühe erhebe ich mich aus dem Lehnstuhl. Reibe mir die Augen. Schüttle die Traumgedanken ab. War der Anruf im Traum erfolgt. Ein eigenes Hirngespinst. Eine Fatatraumana? Gibt es das überhaupt? Bin ich bei Sinnen?
Zwicke mich in den Unterarm. Bin wach. Das kann ich mit allen Sinnen bestätigen. Wieder klingelt der ekelhafte Störenfried. Die gleiche Stimme (kenne ich sie?): „Noch zuhause? Wir erwarten Sie zur Obduktion und Identifikation. Beides hat heute noch zu erfolgen. Also wird‘s bald! Und herzlichste Grüsse vom Präsidenten.” Wieder dieses nervende Besetztzeichen. Kein Wort habe ich platzieren können. Aber die Nummer stimmte. Muss mich aufmachen. Die Scherzbolde eruieren. Ermitteln. Recherchieren. Den gesamten Polizeiapparat bemühen. Stecke die Dienstwaffe ein. Man kann nie wissen. Öffne vorsichtig die Haustüre. Alles ruhig. Ja, gar still. Ungewöhnlich um diese Zeit. Wenig Verkehr. Blinkende Verkehrslichter. Fahre vorsichtig. Würde sich noch fehlen bei der Fahrt zu meiner Leiche zu verunfallen. Treffe im Präsidium ein. Werde nett von dem Wachhabenden begrüsst. Keine Anzeichen von Häme oder Lächeln. Alles ganz normal. Steige die Treppen in die Direktionsetage hoch. Fitness. Bewegung muss sein. Und im Aufzug könnte Gefahr lauern. Trete ins Vorzimmer. Der Diensthabende, ein altgedienter Polizeiwachtmeister der durch sein Alter vom Aussendienst suspendiert ist, nickt mir zu. Hebt einen grossen Karteikasten hoch. Legt ihn auf den Tresen. Mit raschen Fingerbewegungen geht er die Karten durch. Hält plötzlich mit seinen Fingerübungen ein. Zieht eine Karte heraus: “Wir bereinigen die Dienstkartei. Da Deine Versetzung bevorsteht wollen wir keine Karteileiche entstehen lassen. Bist Du mit deren Vernichtung einverstanden?” Ein begossener Pudel würde jetzt aufjaulen. Ich senke nur meinen Blick. Messe mit der linken Hand meinen Puls am rechten Handgelenk. 67 stelle ich erleichtert fest.
Nach langem Fussmarsch erkenne ich auf dem Strässchen ein grosses, mit roter Farbe aufgesprühtes P. Es wird sich um Arbeiten im Boden handeln, denke ich....