Kurzgeschichte der Woche

Fisch-Hochzeit

Ich sitze wie jeden Montag in aller Herrgottsfrühe an meinem Lieblingsanglerplatz am See. Beobachte den Zapfen. Die leisen Wellen die er in der aufkommenden Brise schlägt. Den Himmel der in hellem Morgenrot leuchtet, einen strahlenden Tag verspricht. Ich würde ein aufziehendes Gewitter vorziehen. Da beissen die Fische an. Sind hungrig. Begierig noch vor dem prasselnden Regen, der ihnen nichts anhaben kann, sich der Bauchvölle hinzugeben. Dann den Döseplatz aufzusuchen und sich der Verdauung zu ergeben. Ach, könnte ich mich täglich dem Angelsport hingeben. Nicht mich täglich mit dem Rasiermesser herum zu schlagen. Die Herren unterhalten die sich im Stuhl des Barbieres fläzen. Sie zu unterhalten. Mit neustem Klatsch. Auch selbsterfundenen Geschichten. Denn schliesslich erwarten meine Kunden Erstklassiges. Neuestes. Haarsträubendes. Auch wenn diese Glatzenträger sind. So unlogisch ist unsere Welt. Aber ich lasse mich vom Leben nicht unterkriegen. Nicht von Unstimmigem. Nicht vor haarsträubenden Gegensätzen. Gegenworten. Gegenbuchstaben. Gegenzahlen. Auch nicht von Pleonasmen. Bald Zeit ans Frühstück zu denken. An den geräucherten Aal der sich nach Feuchtigkeit sehnt. Die ich ihm mit der Pulle bieten werde, um ihn besser zu verdauen.

Doch halt! Der Zapfen ruckelt! Taucht. Die Angelschnur zieht an. Ich rolle ab. Halte dagegen. Muss ein Riese sein. Habe ich ein Glück! Ist es der sagenhafte Hecht von dem alle Angler sprechen. Der als Schatten so oft gesehen wurde. Boote zum Kentern bringen soll. Wellen schlagen kann. Was der zieht! Werde morgen den Kunden erzählen können. Abgelichtet werden mit meinem Riesenfang. In aller Munde sein. Mich mit gewölbter Brust bei Anglerkollegen zeigen! Hei wird das ein Spass. Wie lange werde ich kämpfen müssen? Reicht die Leine. Wo ist der Kescher? Da er springt! Nein nicht möglich. Der Fisch hat Flügel. Breite. Runde. Zieht jetzt gen Himmel ins Morgenrot. Taucht wieder unter. Um dann mit lauter Stimme auszurufen: Wir benötigen einen Trauzeugen für die Hochzeit meiner Tochter. Komm mit! Halte Dich an Deinem Zapfen. Und ich erkenne eine umwerfend hübsche Nixe. Folge ihr …

Eintrag der Seepolizei Dienstag früh: Der vermisste Barbiere wurde im See treibend ertrunken vorgefunden. Rätselhaft ist das Lächeln auf dem Gesicht der Leiche. Selbsttötung oder Fremdmord? Womöglich von einem Kunden/Kundin ausgeführt den/die er geschnitten hat? Die Obduktion wird es weisen.

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Ein Kommentar zu dieser Kurzgeschichte:

Am 6. Januar 2016 schrieb schrieb H.K.:

"Mein lieber Herr Loeb, so eine geistreiche Geschichte, im witzig-spritzigen Assoziativstil verfasst! Der arme Hochzeitszeuge, wie in den romantischen Legenden, starb wenigstens glücklich. Dvoraks Rusalka lässt grüssen!"


"Fisch-Hochzeit" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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