Kurzgeschichte der Woche

Der Schlüsselbund

Meine Schlüssel haben einen Bund geschlossen. Ohne mein Zutun. Ohne mein Einverständnis. Einfach so. Einen ewigen Bund wie die Schlüssel mir mitteilten. Einen Bund für wen, fragte ich mich. Ein Bund fürs Leben? Sie wollten es mir nicht verraten. Selbst nicht in ihren Träumen. Dort, und in diesen wollte ich meine Schlüssel ausspionieren. Denn im Traum kann niemand seine Gedanken kontrollieren. Selbst nicht Schlüssel. In Schlüsselträumen. Da war ich überzeugt. Also legte ich den Schlüsselbund neben meine Geldbörse unter mein Kopfkissen. Die Börse, damit diese mir nicht abhandenkommen konnte. Denn, falls ein Dieb zugreifen wollte, müsste er meinen Kopf bewegen. Und da würde ich wach. Könnte die Tat mutig und als Held vereiteln. Die Schlüssel aber legte ich dorthin um diese zu bespitzeln. Wollte endlich wissen weshalb und für was diese einen Bund geschlossen hatten. Einen ewigen Bund dazu. Das konnte nichts Gutes verheißen. Ich musste hinter deren Geheimnis kommen. Nach der ersten Nacht, kein Dieb hatte meinen Kopf bewegt, dafür unzählige Kopfgedanken wie ich den Schlüsseln Gedanken entreißen könnte, war ich gleich weit wie am Abend zuvor. Geduld mahnte ich mir selber an. Engelsgeduld! Doch wollte ich nicht auf die Ergebnisse warten bis ich selbst ein Engel wäre. Zügelte allem zum Trotz meine Neugier. Schlief weitere dreiunddreißig Nächte mit meinem Schlüsselbund unter dem Kissen. Bereits hatte ich auf der linken Schädelseite dadurch eine Delle eingefangen. Und immer noch kein Ergebnis. Musste andere Mittel anwenden. Andere Schliche. Erinnerte mich an Methoden die Geheimdienste anwandten um Geheimnisse zu entreißen. Waterboarding! Ja, das war es!

Nahm am Abend vor dem Zubettgehen mein Zahnglas, also nicht dasjenige in das ich meine Zähne lege, habe noch keinen künstlichen Zahnersatz, bin stolz auf meine zwar plombierten, aber noch natürlichen Beisswerkzeuge. Nahm das Zahnglas in das ich Mundwasser eintröpfelte, das sofort das klare Nass rosarot färbte, auf mein Nachttischchen, sodass ich zur Anwendung der Geheimisextraktion meiner Schlüssel in tiefer dunkler Nacht bereit sein würde. Doch ich schlief ein. Verpasste den geeigneten Augenblick in der Geisterstunde. Als ich aufwachte färbte sich der Himmel bereits hellrot, leuchtete mit meinem Zahnglaswasser um die Wette. Und wer gewann den Wettkampf? Der Himmel. Tief betrübt schälte ich mich aus den Federn. Schwor mir in der Nacht danach besser achtzugeben. Nicht einzuschlafen. Oder doch den Wecker zu stellen, sodass kein Misserfolg sich einstellen konnte. Nach dem hektischen Tag, unter anderem hatte ich einen Termin bei meinem Zahnarzt, der mir zur Extraktion von sechs Zähnen riet um diese mit herausnehmbaren Ersatzstücken zu ersetzen, freute ich mich auf mein Bett und die bevorstehende Wahrheitsfindung. Ich bereitete das Zahnglas vor. Färbte es mehr als rosa indem ich die halbe Flasche Mundwasser hineingoss, eine Verschleuderung von Ressourcen, denn der Ersatz würde mich teuer zu stehen kommen. Suchte nach dem Schlüsselbund um für die Prozedur vorbereitet zu sein, die in der kommenden Geisterstunde abschließend stattfinden sollte.

Die Schlüssel wollte ich vor dem Schlafengehen bereits ins Glas werfen um nicht erneut zu scheitern. Vorbereitung ist die Mutter der Perfektion. Wollte nach dem Schlüsselbund greifen. Doch er lag nicht neben dem dunkelrot gefärbten Glasinhalt. Ich hatte ihn doch dort hingelegt. Oder hatte ich diesen im Badezimmer deponiert? Doch dort war er nicht zu finden. Auch nicht auf dem Esstisch. Nicht in der Küche. Auch in der Garage, im Auto auf dem Beifahrersitz befand er sich nicht. An der Eingangstüre steckte er nicht. War einfach nirgends zu finden. Da fiel mir wie ein Blitz die Lösung des Geheimnisses zu. Ich musste nicht weiter suchen. Der Bund den die Schlüssel geschlossen hatten war ganz einfach. Ein ewiger Bund, dass ich auf ewig meinen Schlüsselbund zu suchen hatte und nicht finden konnte. Mit der flachen Hand schlug ich mir gegen die Stirn, machte mich in mein Schlafzimmer auf. Trank in einem Zuge mein Mundwasser aus, das entsetzlich schmeckte, doch bestimmt jeden Geruch dieses üblen Spiels meiner und bestimmt auch derjenigen diese Zeilen lesenden Schlüsselsucher auf einen Schlag entfernte.




Dreisatzroman der Woche

D A S  L O T

Heute Morgen hängt das Lot nach oben, irgendetwas scheint verschoben.

Bin ich es, oder ist es mein Bett.

Ach ich wett, das ist nur ein Trick der Werbewelt, die mir will verkaufen ein neues Himmelszelt!


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"Der Schlüsselbund" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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