Kurzgeschichte der Woche

Lebenslauf

Ein Fast-Read-Roman

(Aus Wegwerfwelten, François Loeb, alias Bruno.A. Nauseer, Benteli Verlag,Bern, 1994)

«Einen perfekten Lebenslauf zu schreiben, ist von hervorragendem Nutzen», erklärte mir Herr Alois Müller, der Name stand chromgeprägt auf seinem Schreibtisch, mir zugewandt. Alois Müller war Sachbearbeiter der Stellenvermittlungsagentur, deren Inserat ich kürzlich in meinem Leibblatt gelesen hatte. Aufgesucht hatte ich die Agentur, weil ich Geld zum Leben brauchte, eine vorübergehende Stelle in Aussicht nehmen wollte, doch die Aussichten, eine solche in Aussicht erhalten zu bekommen, waren stockdüster. Die Wirtschaftslage. Meine Kenntnisse. Die spezifischen Fähigkeiten. Mein häufiger, zum x-ten Mal erfolgter Stellenwechsel. Und dann immer nur vorübergehende Stellen, das sei das Schlimmste, erklärte mir Alois Müller. Seine Mundwinkel zeigten nach unten, wohl kein allzu gutes Zeichen. Aber dann kam er zum besagten Lebenslauf, lebte sichtlich auf und bemerkte: «Mit einem hervorragenden Lebenslauf kann man vieles wettmachen. Das Entscheidende ist, das Interesse des Sachbearbeiters zu wecken, ihn zu fesseln, ihn neugierig zu machen, zu erreichen, dass er einen sehen will, nein sehen muss, nicht übergehen kann. Es gibt Kurse, gute Kurse, in denen Sie lernen können, wie Lebensläufe optimal ablaufen! Gehen Sie doch hin. Es gibt Abendkurse. Recht günstig. Hier die Adresse.»

Augenblicklich erlosch sein Interesse an mir. Er wandte sich seinen Papierstapeln, wohl alles Lebensläufe, gestapelte Lebensläufe, zu, blätterte darin und gab seinem permanenten Missfallen mittels heftigem Kopfschütteln und leisem aggressivem Brummen Ausdruck. Ich meldete mich zum Kurs an. Mit einigem Herzklopfen ging ich in die erste Lektion, denn immerhin hatte ich seit 23 Jahren keine Schulbank mehr gedrückt, keinen Kurs mehr besucht. Es tönte alles ganz einfach: vorteilhaftes Foto, übersichtliche Darstellung, die Wahrheit, nichts als die Wahrheit, durchaus etwas geschönt - man legt ja auch Make-up auf und pflegt sich, sagte die Kursleiterin Referenzliste, Zeugnisse, die besten vorne, Handschriftprobe, wobei es durchaus erlaubt sei, vor dem Schreiben dieser Proobe - die Kursleiterin sprach das Wort mit zwei oo aus - dieser Proobe ein Taschenbuch über Graphologie zu kaufen, um die extremen Über- und Unterlängen zu vermeiden, welche ja meist nichts Gutes besagten, wenigstens bei einer Stellenbewerbung, sie wolle ja nicht absolut sein, betonte die Kursleiterin.

Und zum Schluss noch einmal die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit, denn alles sei überprüfbar, das feinmaschige Netzwerk der Personalverantwortlichen sei äußerst gut ausgebildet! Ich eilte nach Hause. Endlich wusste ich wie. Endlich sollte die unendliche Suche ein Ende haben. Endlich die Erfolgsquote sprunghaft steigen. Und die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Endlich durfte ich es schreiben. Ich setzte mich hin. Setzte den Titel kursiv. Lebenslauf: Eintritt in dieses Leben 1583. 1634 angeblich ermordet. Seither auf Stellensuche Name Albrecht Wenzel Eusebius Wallenstein ...




Dreisatzroman der Woche

R E G E N B O G E N
(Reiseweise)

Rund ist er und bunt der Regenbogen auf dem ich schreite.

Er führt mich ins Schwarzweissland, in welchem Farben sind noch unbekannt.

Das Schwarzweissland besteht aus meinem neuen alten Lebenssand.


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Ein Kommentar zu dieser Kurzgeschichte:

Am 8. August 2017 schrieb ein anonymer Leser:

"Freitag!
Ich wurde wieder mit einer außergewöhnlichen Geschichte von Ihnen überrascht. Wie fällt einem so etwas ein? Herrn von Wallenstein, einst reicher als der König von Sachsen, der deutsche Kaiser war sein Schuldner, zudem ermordet im Jahr 2017 auf Stellensuche zu schicken? Ich überlege, grübel…nichts! Finde keine Antwort darauf. "


"Lebenslauf" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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