Kurzgeschichte der Woche

Verpuppen

“Macht euch an die Arbeit ihr Faulpelze. Ich zahle keine Löhne für Nichtsnutze! Los! Los!”
Wir schauen uns wie jeden Morgen verdutzt an. Obwohl wir es uns gewöhnt sein müssten. Die Sache, der Boss sagt dazu jeweils ‘Chose’, geht jetzt für mich bereits ins dritte Jahr. Bin wohl die Dienstälteste. Jeder kennt mich. Ich jedoch nur wenige. Denn immer neue Angestellte holt sich der Chef. Wenn er mit einer Leistung nicht zufrieden ist, Schwupps ist man draußen und hat ein Verbot, ein absolutes Verbot mit Mitgliedern unseres Arbeitskommandos noch Kontakt halten zu dürfen. Das wird rigoros eingehalten. Sonst ist ein jeder der gegen diese Gesetzmäßigkeit verstößt draußen. Um seinem Befehl Nachdruck zu verleihen wird bei jedem Rausschmiss, so nennen wir den Vorgang, auch die SIM Karte jedes Verbleibenden ausgewechselt. ‚Neue Nummer = Kontaktunterbindung‘, ist des Leiters liebster Ausdruck. So habe ich in der Zwischenzeit bestimmt bereit 18 Mobilnummern verzehrt! Ich lache innerlich über diesen Ausdruck ‘verzehrt’. Denn ich setze die Zahlen der neuen Rufnummern immer im Lotto ein und habe damit bereits eine schöne Stange Geld verdient. Möglicherweise hat der Boss Beziehungen zur Lottogesellschaft, oder anderen höheren Mächten und kann uns mies bezahlen, da ein Zustupf aus anderen Quellen fließt. Nun mir kann es egal sein solange ich den Job von dem ich meine Familie zu ernähren habe, behalten kann. Wichtig ist einzig der Saldo der Einnahmen, woher diese kommen liegt nicht in meiner Hand, noch in meinen Füssen. Obwohl ich viel auf diesen zu stehen habe. Meist frühmorgens, wenn die Pendler Ströme fließen.

Dann verteile ich mit meiner Kolonne, sie wird so genannt obschon eingestanden im Gänsemarsch wir einen traurige Anblick abgeben würden, denn von Kolonne kann bei 5 Menschen kaum die Rede sein, Warenmuster. Schokoladen. Getränkemuster. Jogurts, Plätzchen und andere Kalorienbömbchen, in der Hoffnung, dass die Beschenkten sich dann im Gestell des Supermarktes, an den Geschmack sich erinnernd, genau diese Marke in den Warenkorb schieben werden. Eine clevere Art die Menschen in die Sucht zu treiben finde ich. Wirksam muss diese sein, denn sonst würden wir nicht beinahe täglich, selbst an Feiertagen, gebucht. Was mich bisher immer stört ist der Auftrag den ich als Kolonnen-Head täglich fasse. In einem speziellen Karton der Muster, der mit einem großen roten Punkt geschmückt ist, befinden sich besondere Muster-Packungen, mit denen, wie der Chef sich ausspricht, das große Glück enthalten sein kann. Ich solle diese, so die Instruktion, an hervorragende Exemplare unserer Spezies verteilen. Auf Nachfrage wie ich diese erkennen könne, bemerkt der Boss nur, gut gewachsen, schlank, elegant und dabei gleichzeitig kraftvoll gebaut. Wenn ich in den Wald gehen würde, sagt er nuschelnd, da sei er sich sicher, wären die guten und hervorragenden Stämme für mich als intelligente und aufmerksame Frau gleich zu erkennen. Das sei bei Menschen ähnlich. Ich sei auch zu dieser Kategorie zu zählen, soll mich aber hüten je ein Muster aus diesem Karton zu mir zu nehmen, denn die würden fünf Mal mehr kosten als die normalen. Und er müsse schließlich auf den Ertrag achten, sonst käme alles schief heraus.

Und ich würde die Stelle dann glattwegs verlieren. Was ich, das liegt auf der Hand, nicht auf mich nehmen will. Klar. Also befolge ich die Anweisungen. Verteile Rot-Punkt-Ware wie ich diese nenne nur an herausragende Menschen. Was mir auffällt und auch schon einiges Kopfzerbrechen bereitete, sehe ich nie eine dieser herausragenden Rotpunktmusterverzehrmenschen wieder, selbst wenn ich mich in einen vernarrt habe und gerne ein Techtelmechtel mit diesem begonnen hätte. Wenn ich besonders viele Auszeichnungen an einem Tag vergeben hatte und der Rotpunkt-Karton leer wurde, strahlte mein Chef über das ganze Gesicht, weshalb war mir bis gestern schleierhaft.Doch heute Morgen überreichte er mir als besondere Ehre und speziellen Dank für meine grandiose Leistung, wie er sich schwülstig ausdrückte, ein Warenmuster aus eben diesem Karton den ich sofort und mit Freude stehend verzehre. Das Muster schmeckt tatsächlich 4,5 Mal besser als die üblichen. Einfach hervorragend. Intensiver. Sahniger. Und das alles ohne Geschmackverstärker. Wie auf der Packung vermerkt. Jetzt, einige Minuten nach diesem köstlichen Schmaus beginne ich mich steif zu fühlen. Und als der Boss mir auf die Schulter klopft und leise zu mir geneigt bemerkt: “Du wirst ein besonders schönes Stück in meiner Schaufensterpuppen- Sammlung! Soeben wurde für diese ein neues Museum eröffnet. Du wirst Dich in ihm so wohl fühlen wie eine Raupe im Kokon und von Deiner herrlich flatterhaften Zukunft träumen …”, wundere ich mich nicht mehr über die Rotpunktpackungen.




Dreisatzroman der Woche

S O A P

Eine Raupe schrieb sich ihre eigen Saupe.

Schmetterling, sing sing, ringring, schlief darob ein.

Wachte auf mit Flügeln klein, träumte dann vom Raupensein.


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"Verpuppen" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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  • 02.
    NOV
    24
  • LESUNG
    Schloss Hünigen Konolfingen
    18:30 Uhr
    zusammen mit Stefan Heimoz

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