kostenlose Kurzgeschichte der Woche

Meine kostenlose Kurzgeschichte der Woche

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Wortzerfetzung

Mein Freund aus der Studienzeit hat eine für mich unerwartete Karriere hingelegt. International. Er, der stets in abgehackten Sätzen sprach und sich dabei wichtig vorkam. Sozusagen als Trendsetter, wie er es uns zu verstehen gab. Die Welt sei viel zu kompliziert geworden. Müsse unbedingt schematisiert werden. Um erneut paradiesische Einfachheit zu erlangen, geschehe das am einfachsten, indem die menschliche Sprache schrittweise radikal vereinfacht werde. Wie er sich das vorstelle, lebe er uns vor und hoffe dabei, dass wir ihn trotz allem ausdeuten würden. Sozusagen seine Gedankenlesen könnten, wie Adam diejenigen von Eva verstanden habe, ohne dass sie grosse Laute von sich gegeben habe.

Ich habe dann Brunnoe, so schrieb er seinen Vornamen, auf dessen korrekter Aussprache er beharrte, aus den Augen verloren. Las einmal im Internet, dass er mit seinem Auto tödlich verunglückt sei. Weinte seiner Genialität eine winzige Träne nach. Doch alles zu glauben, was sich im Netz als Wahres gibt, ist Leichtsinn und strafbar kleingläubig. Gestern nämlich las ich in meiner Tageszeitung von einem beinahe unheimlichen Erfolg eines Start-up, dessen Gründer und Eigner Brunnoe sei. Möglicherweise ein Zufall? Doch die Schreibweise? Dann las ich, dass dieses Ausnahmetalent selbst gegenüber den Journalisten und Fernsehreportern an dieser Macke festhielt, dass sein Name korrekt ausgesprochen werde, ansonsten er keine weiteren Auskünfte erteile. Das hätte auch ein Abkupfern der damaligen Gedanken meines Studienfreundes sein können, doch sein Unternehmen habe eine Wortzersetzungsmaschine entwickelt, also genau das, was er damals predigte und wir bei Bierhumpenfesten belächelten. So viel Übereinstimmung machte mich nachdenklich. Ich beschloss zu versuchen, mit Brunnoe Kontakt aufzunehmen. War überzeugt, dass dies bei einem so erfolgreichen Unternehmer nicht einfach sein wird, obwohl er sich damals der Einfachheit verschrieben hatte. Ich war mir sicher, dass die Millionen-Umsätze, die seine Erfindung einspielen, einen Schutzwall um ihn herum aufgebaut hätten. Assistentenkohorten. Mailabschirmungssoftware. Geheimste Telefonnummern und was es sonst alles an Abwehrmassnahmen, auch übernommen von Geheimdiensten, noch geben kann.

Nun, ich wurde eines Besseren belehrt. Auf Anhieb, auch ohne mich auszuweisen oder durchsucht zu werden, wurde ich am Musterproduktionsstandort der Maschine zu Brunnoe vorgelassen. Hatte nicht einmal die gemeinsame Studienzeit erwähnen müssen.

Er begrüsst mich herzlichst. Ich erkenne ihn sogleich, obwohl der Erfolg ihm in den Kopf gestiegen sein muss, denn sein Haupt erscheint mir auf das Dreifache gewachsen. Er hat es von seinem Rumpf abgeschraubt. Es liegt vor ihm in einem geflochtenen Korb auf dem blank polierten Schreibtisch. Das Gewinde am Hals ist klar erkennbar. Der Rumpf sitzt bequem in einem Bürosessel. Er entschuldigt sich, dass er mich so entrumpft empfange. Ich soll auch nicht erschrecken, wenn mich nur sein Kopf in einem mit Rädern ausgestatteten ehemaligen Original Guillotine-Korb, den er in Frankreich erworben habe, durch die Musterfabrik begleiten werde. Es sei heute bereits die siebzehnte Führung, die er persönlich kopfüber begleite. Mit einem alten Bekannten könne er es sich, meine Erlaubnis vorausgesetzt, bestimmt bequem machen und seinen kopflosen Körper weiter ausruhen lassen. Ich dürfe auch meine Jacke ablegen, er habe nichts dagegen, denn in der Fabrik seien die Temperaturen hoch. Die zerfetzten Worte würden massiv Energie abgeben. Ein Nebeneffekt, der viel beachtet werde, könne dadurch doch Heizungsenergie in grossem Umfang gewonnen werden.

Mit diesen Worten und dem Griff nach einem bunten Schweisstuch setzt Brunnoe sich in seinen motorisierten Korb, bittet mich mit einladenden Gebärden seiner Ohren ihm zu folgen. Ein ohrenbetäubender Lärm, ein Knirschen und Kratzen, ein Hämmern und Quietschen beinahe kosmischen Ausmasses empfängt uns im Fabriksaal. Ich erkenne einen riesigen Trichter. Mit unzähligen Baggerarmen werden Worte mit Schwung in die riesige, trichterförmige Öffnung hineingeschleudert. Dort werden sie zerhackt, nachdem sie ihren Sinn verloren haben, da dieser wie das Blut in einem konventionellen Schlachtbetrieb aus den Worten gepresst worden, erklärt mir mein Studienfreund. Die Wortfetzen würden anschliessend an Haken aufgehängt durch eine Trocknungsanlage geschleust und kämen dann im Empfangssaal sauber konserviert wieder ans Tageslicht. Dort würden die sinnlosen Wortessenzen neu verteilt, fänden ihren Weg in die Social-Media und erfreuten dort, von jedem Sinn befreit, von Autokraten viel benutzt, die Menschhe ...

Die letzte Silbe kann ich nicht mehr richtig verstehen, vernehme aber klar und deutlich Brunnoes Worte:

„Tut mir leid! Aber durch die weltweiten Engpässe bei der Wortbeschaffung bedeutender, die Welt erklärender Worte, muss ich auch die deinen verwenden. Zerfetzen. Sei mir nicht gram. Deine ent-weisten Worte werden sinnentleert zahllosen Menschen ein ‚GEFÄLLT MIR‘ entlocken …“



Und als Bonus ein weiterer DREISATZROMAN aus meiner Feder:

S I N N

Es lacht
Hämevoll
Der Unsinn.

Über entleerten weltweit
Verbreitet vernetzten
Künstlich Sinn.

Klatscht dabei
Applaus einfordernd
Händeringend mit den
Füssen lauthals stampfend
Rechthaberisch Unrecht fordernd
Nach neuem weltweit umspannend Sinn.




Die Wochengeschichte und/oder der Dreisatzroman können stets mit Quellenangabe (https://www.francois-loeb.com//kurzgeschichten-kostenlos-lesen/geschichten-erhalten/) auf Ihrer Homepage Ihrem Blog, oder der Vereinszeitschrift kostenlos aufgespielt werden!
Ich freue mich darüber!!


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"Wortzerfetzung" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:







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