Kurzgeschichte der Woche

Sternschuppen

“Kommst Du mit in den Sternschuppen?”, erkundigt sich meine Freundin sobald sie mir die Türe öffnet. Eigentlich habe ich keinerlei Bedürfnis in den Ausgang zu gehen. Vielmehr hatte ich mich den ganzen Tag, und es war ein mit unerfreulichen Terminen angefüllter, auf einen kuscheligen, entspannenden Abend gefreut. Aber der Liebsten einen Wunsch ausschlagen, nein, das kann ich nicht. So willige ich ein. Im Hinterkopf, oder besser ausgedrückt in der Hinterhand (der Falschen), den realen Gedanken sie durch Liebesbeweise doch noch von ihrem Vorhaben abzubringen. Ganz abgesehen davon, dass ich das Lokal Sternschuppen nicht kenne und in dieser eiskalten Nacht keinerlei Bedürfnis verspüre aus der warmen Wohnung im Mondesfrieresreich zu wandeln. Wird dir noch einiges einfallen, um dein Liebstes auf andere Gedanken zu bringen, bemerkt mein überhitztes Innenleben.
“Lass uns zuerst speisen. Einen edlen Tropfen dazu genießen der uns aufwärmt”, entströmen meinem Mund warme, Sehnsucht ausstrahlende, durcheinander wirbelnde Worte.
“Nein, nein, im Sternschuppen finden wir heute Nacht unser Glück”, entgegnet sie und bereitet sich, ihren Wintermantel und die warmen Stiefel anziehend, auf den Ausgang vor.
“Aber, lass uns zuerst ein wenig Vorglühen”, versuche ich ergebnislos zu überzeugen. Ziehe erneut meinen Schal enger um den Hals und die Handschuhe über. Wir gleiten, mehr als dass wir die Stiegen hinunter schreiten, dem Ausgang des Wohnblocks zu. Ich fühle durch meine dicke Winterkluft ihre glühende Wärme und versuche noch einmal meine Überzeugungskunst einzusetzen. Male mit wohlriechenden Sätzen meine Kochkünste an die dunklen Treppenhauswände. Das neue Rezept, ein in Wein geschmortes Pilzgericht. Sie reagiert darauf einzig mit dem Wort STERNSCHUPPEN. Ach was ich das Ausgehen hasse. Besonders jetzt und heute. Aber ich unterziehe mich. Wir treten aus dem Eingang. Der Boden ist gefroren. Der Gehsteig glatt wie eine Eisbahn.
“Lass uns ein Taxi rufen, wir brechen uns noch alle Knochen”, bemerke ich, dabei weiße Wölkchen aus dem hungrigen, durch das Rezept angeregten Mund ausstoßend. Ihre Reaktion: “STERNSCHUPPEN, lass uns ein N suchen!”. Beugt sich vor. Hebt ein riesiges, gefrorenes N vom Boden auf. Setzt es ins Wort ein und zeigt mit Ihren schlanken Fingern, die ich so liebe, zum sternenklaren Himmel hoch, an dem ich nun einen überirdischen Sternschnuppen-Regen entdecke, dem wir jetzt von der Erde abhebend entgegen fliegen.
Nun verstehe ich den Ausdruck ‚IM SIEBTEN HIMMEL‘, in seiner umwerfenden Bedeutung. Erst jetzt ...




Dreisatzroman der Woche

S C H N E E W E I S S & R O S A S C H W A R Z

Schneeweiß der Blüte zarte Blätter sich der Sonnenstrahlen freuen, in weissem Blütenrauschesdenken selbstgefällig erkennen, wie wundervoll sie in ihrem herrlich blühend Kleide, einem Bilde gleich, sich zeigen als Augenweide.

Der weißen Blüte Wurzel ergibt sich derweil rosaschwarz der schweren, dichten, duftend, warmen Erde.

„Zu meinem vollen Glücke fehlt nur“, sinnt die rosaschwarze Wurzel, „dass die Blüte rosaschwarz erstrahlt“, während zur selben Zeit, der schneeweiße Blütentraum weiße Wurzeln wie den Schnee ersann.


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Ein Kommentar zu dieser Kurzgeschichte:

Am 10. Februar 2017 schrieb ein anonymer Leser:

"Ihre Sprachschöpfungen sind sagenhaft! Eine rätselhafte Liebesgeschichte, die der Realität entschlüpft. Sehr schön ist es, im siebten Himmel! "


"Sternschuppen" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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