Kurzgeschichte der Woche

Firlefanz

“Alles Firlefanz”, bemerkt überlaut der alte Mann am Nachbartisch in meinem Stammcafé in dem ich jeden Vormittag meinen kleinen Schwarzen Kaffee zusammen mit den Tageszeitungen genieße. Es ist der Zeitpunkt der Inspiration deren ich als Schriftsteller so dringend bedarf. Mein Erstlingswerk ist noch ungeboren und schwebt den Sternen nah. Aber ich weiß, es ist als sei es ein unumstößliches Naturgesetz, dass es geboren wird und dass ich damit berühmt werden werde. Oh so eine unschöne Formulierung mit zwei sich wiederholenden identischen Verben darf mir selbst in Gedanken nie mehr geschehen. Schriftsteller ist Schriftsteller auch in den nicht niedergeschriebenen Worten. Ich gebe mir einen kräftigen virtuellen Fußtritt und versuche meine Gedanken neu zu ordnen. Drehe meinen Kopf zum Nachbartisch, was soll das mit dem Firlefanz? Finde ich hier endlich den Beginn meines neuen Werks? Muss unbedingt mit dem unordentlich aussehenden Greis sprechen.

Ja Greis kann ich ihn ruhig nennen, muss ja über 70 sein der Kerl. Dass man sich dann so gehen lassen muss! Unverständlich. Jedoch hat er vielleicht (auch so ein scheußliches Wort, sollte ich ebenfalls in die Gedankenhölle senden oder zumindest ins Exil), hat er möglicherweise (gefällt mir besser, dem Gedankenhimmel sei Dank) Lebenserfahrung und eine spannende Geschichte für mich. Ja, der Titel meines Preisverdächtigen Werks könnte Firlefanz sein. Ist doch alles Firlefanz auf dieser Welt. Oder etwa nicht? Nehme meine Tasse. Lasse die Zeitungen liegen. Setze mich an den Tisch des Firlefanzers. Er betrachtet mich mit wässrigen Augen. Rote Nase. Muss dem Alkohol verfallen sein. Spreche ihn an. Lade ihn zu einer Tasse Melange ein. Er schüttelt seinen Kopf. Bläst in seine Hände. Muss kalt haben der arme Penner. Biete ihm einen Tee oder einen Bouillon an. Er verneint erneut ohne Worte. Hebt einzig die Hände in Abwehrhaltung.

Drehe mich um, um (och, schon wieder, nein das darf nicht sein!) damit ich den Kellner für einen neuen kleinen Schwarzen herbeirufen kann. Da fällt mein Blick auf den großen Steckkalender an der Wand. Ja, das Jahr hat kaum begonnen. 12. Januar, doch darunter die Jahreszahl. Nein, da hat jemand falsch gesteckt, 2068! Ich sehe zum großen Wandspiegel hin. Am Tisch des Kaffeehauses sitze ich allein. Kein Gegenüber. Mein Gegenüber bin ich…
“Ist doch alles Firlefanz” seufze ich meinem leeren Gegenüberstuhl zu.




Aus:
François Loeb’s
Sprichwort
SchüttelBecher
Weis-heiten des 21. Jahrhunderts

FRÜH GEÜBT
FRÜH VERBRÜHT




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Ein Kommentar zu dieser Kurzgeschichte:

Am 13. Januar 2018 schrieb ein anonymer Leser:

"Ein sci-fi, ein beliebtes Märchenmotiv über die davonlaufende Zeit und ihre Scherze, die Verwandlungen der Jugend ins Alter. Nur die Belohnung diesmal fehlt. Bei Ihnen entfesselt ein Stichwort eine unerwartete, überraschende Geschichte."




"Firlefanz" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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