Kurzgeschichte der Woche

Handydandy

„Hast Du ihn auch schon einmal erblickt, den Handydandy? Stadtbekannt ist er bereits. Aber Du bist ja nur auf der Durchreise. Hast ihn möglicherweise noch nicht gesehen“, bemerkt mein Thekennachbar im englisch ausgestatteten Pub, in dem ich mein Feierabendbier in dieser gastfreundlichen Stadt genieße. Genieße nach einem sehr arbeitsreichen Tag an dem ich die Verlage besuchte, mit den Chefs sprach, ihnen mein neustes Manuskript vorstellte. Alle zeigten reges Interesse, doch ich entscheide mich jeweils erst nach dem Vergleichen aller Angebote. Nein, nicht allein um das Pekuniäre geht es mir, viel eher um das Umfeld. Die Marketingleistung. Die Vernetzung der Verleger. Denn ein Interview in einer großen, landesweit bekannten Zeitung, eine Einladung zu einem Talk (ach, was für ein scheußliches Wort) am Fernsehen ist mehr wert als schnöder Mammon. Wobei das eine dem anderen hilft. Bekanntheitsgrad gleich Autoren Einnahmen. Zudem genieße ich es die Verlage zappeln zu lassen wie diese mich in jungen Jahren warten, werweißen, jeden Morgen erwartungsvoll zum Briefkasten eilen ließen, den Weg zurück in meine Bude (anders konnte meine Bleibe damals nicht bezeichnet werden), mit hängendem Kopf antreten ließ. Und dann am heutigen Abend, dieses köstliche Nass, das ich mir in jungen Jahren nicht leisten konnte und nun in der Gegenwart eine ganze Runde schmeißen konnte. “Nein”, antwortete ich, ”nie gesehen, was hat es mit diesem Handydandy auf sich?” Und bestelle ein weiteres Obergäriges für mich und dem Kerl der mich so freimütig, ohne mich zu kennen angesprochen hat.

„Das wirst Du gleich erleben“, er weist mit seinem Zeigefinger zur Eingangstüre des Pubs und ich sehe einen mächtigen Mann, er misst bestimmt über 2 Meter, hat einen muskulösen Körper und trägt umgehängt so etwas wie einen Bauchladen, den es früher so oft gab, vor sich. Beim Näherkommen kann ich ihn beobachten. Er steuert direkt auf die Theke zu, wo der Bierzapfer ihm bereits sein Getränk vorbereitet. Muss also ein Stammgast sein. Da ich keinesfalls irgendetwas kaufen will, ziehe ich mich an die äußerste Ecke der Theke zurück. Frage mich was der Kerl zu verkaufen hat. Ein Bettler? Ein Dealer? Aber so offen, bestimmt nicht. Oder ist der Bauchladen nur Tarnung? Jetzt erkenne ich auf dem Boden des leicht hin und her pendelnden Behältnisses, einen altertümlichen Telefonapparat, mit Wählscheibe, Hörer, verbunden mit einer schwarzen Flex Schnur. Das Gehäuse glänzt schwarz, wie ein gut polierter Schuh. Er drückt den Hörer eng ans rechte Ohr. Spricht in die Muschel. Muss eine neue Erfindung sein. Ein ganz besonderes Handy. Sonst würde er nicht Handydandy genannt, überlege ich. Na ja, spannende Erscheinung! Jedenfalls für einen Schriftsteller wie mich. Werde ihn in einen meiner Erzählungen einbauen. Gut, dass ich mich für diesen flüssigen Feierabendgenuss entschieden habe. Hätte echt eine Intuition, die ich weiter spinnen kann, verpasst, wäre ich im Hotelzimmer geblieben, mich nicht trotz Müdigkeit noch einmal zum Ausgehen aufgerafft. Muss aber Näheres über die neue Erfindung in Erfahrung bringen. Also den Handydandy ansprechen. Will ihn aber bei seinem Gespräch nicht stören.

Da! Er schmettert den Hörer mit großer Geste auf die Gabel. Das ist der richtige Augenblick, obwohl sich in seinen Augen, noch Wutblitze seines vorherigen Telefonats abzeichnen, die sich aber zu beruhigen scheinen. Ich wage es. Frage ihn nach seiner Erfindung. Mit erstaunlich sanfter Stimme, er scheint jetzt trotz des auf die Gabel geschmetterten Hörers, die Ruhe selbst zu sein, bemerkt er:
„Keine Verbindung zu haben ist genial. Ich kann mir alle Anrufe, die Gesprächspartnerinnen oder Partner vorstellen. Und da ich mit einer gesegneten Fantasie beschenkt bin, wird mir in meiner Vorstellung nie langweilig und ich kann mir meine Niederlagen und Siege selbst ausdenken , diese in gesundem Gleichgewicht halten, das mich nicht belastet, mich glücklich sein lässt“. Er nippt an seinem Bier, nimmt den Hörer ab und strahlt beim Gespräch über beide Backen, als spiegle sich eine helle Sonne in seinem Gesicht ...




Dreisatzroman der Woche

M I C K

Ick sehe mick, klick!

Klick im Handy micky schick!

Wirklich mick und nicht Dick, Klickediklick!




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Einige Kommentare zu dieser Kurzgeschichte:

Am 4. Mai 2018 schrieb ein anonymer Leser:

"Eine originelle Idee von einem Lebensphilosophen. Natürlich ist er ein Meschuggener, jedoch ein glücklicher, der sich mit seinen fiktiven Gesprächen selbst therapiert. Ihre Fantasie ist ein Brunnen von originellen Ideen! Unglaublich.. "

Ebenfalls am 29. März 2018 schrieb ein anderer anonymer Leser:

"Stelle mir das Bildlich vor. Genial."




"Handydandy" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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