Kurzgeschichte der Woche

Küchenparty

Die Einladung zur Küchenparty schneit mir einfach so ins Haus. Schwebt mir beim Öffnen des Briefkastens entgegen. Unadressiert. Also reine Werbung. Eines Möbelhauses? Eines Kücheneinrichters? Was geht mich das alles an. Entsorgen, spricht mein Gesundermenschenverstandskämmerlein im Hinterkopf. Knülle das Papier zusammen. Dieses lässt es jedoch nicht zu. Entknüllt sich von alleine. Eine neue Erfindung der Werbeindustrie? Rückknüllpapier! Erstaunlich was alles erfunden wird um die Aufmerksamkeit der unbedarften Kundenopferschaft zu erzeugen. Trage das Papier zusammen mit dem kostenlosen wöchentlichen Amtsanzeiger nach oben in mein Dachkämmerchen in dem ich seit meinem Rentenantritt aus Sparsamkeitsgründen hause. Unternehme Knüllübungen auf der Treppe. Vergebens. Beschließe die knitterfreie Einladung einfach unterwegs zu ‚verlieren‘. Doch zu meinem großen Staunen gelingt auch das nicht. Das Blatt macht schraubenhafte Drehungen, scheint die Aufluft des Treppenhauses zu nutzen. Landet schlussendlich elegant und einladend vor meiner Kammertüre. Dort aber dulde ich keinen Schmutz. Keinen Abfall.

Da könnten meine neuen Hausgenossen - bin erst vor zwei Monaten hier eingezogen - falsche Schlüsse ziehen. Mich als verwahrlosten schrulligen ‚alten‘ Mann ansehen. Gar die Sozialbehörden alarmieren. Und ich will nur in Ruhe gelassen werden. Nicht auffallen. Meinen Lebensabend in Stille verleben können. Ohne Einladungen. Besonders nicht zu irgendwelchen Küchenpartys. Wohl Werbeveranstaltungen. Tupperware Partys. Oder Ähnlichem. Einem Marketingbären aufsitzen. Nein, will niemandem Aufsitzen. Auch nicht den Steuerbehörden. Den Ämtern. Keiner weiß, dass ich hier wohne. Inkognito wie ich jetzt nach Abschließen der Kammertüre vor mich her brumme. Ist heiß hier unter dem Dach! Öffne die Dachluke. Nicht zu fassen. Es schneit! Mitten im Sommer. Kalter Wind fegt über die Dächer. Treibt Schneeflocken vor sich hin. Nein, Zettel. Einladungen. Zur Küchenparty. Fange mit bloßen Händen einen Wisch. Unzerknüllbar! Himmel, wo bin ich nur gelandet? ‚ALICE IM WERBELAND‘, fegt ein Gedanke stürmisch durch mein Haupt.

Und da, ich glaube es nicht, schwebt eine gegrillte Kochplatte, einen Bratenduft verbreitend vor meine Augen. Und jetzt: Ein gemixter Mixer mit zwei Flügelchen, mit denen er sich um meine Deckenlampe kreisend vergnügt. Ein Garofen mit blauen Augen. Der Kühlschrank der sich mit einem Schweißtuch die Anstrengung des Aufheizens des Klimas abwischt. Das Alter ist kein reines Vergnügen, bemerkte bereits meine Mutter. Rufe jetzt laut in mein Kämmerchen: „Ich kaufe nichts“. Hänge fünf Ausrufzeichen an diese Worte, die sich in Windeseile im ganzen Haus verbreiten. Lege mich, mein Kopf ins Kopfkissen drückend, um nichts mehr zu sehen, in meine karge Bettstatt. Höre ein lautes Klopfen. Eine berstende Wände zum Einsturz bringende Stimme erklingt: „Öffnen Sie! Sie Glückspilz! Wir kommen die neue Küchenzeile einrichten, damit Sie die Küchenparty heute Nacht auch standesgemäß ausrichten können …“




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"Küchenparty" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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