Kurzgeschichte der Woche

Libellenliebe

Als ich nach stundenlanger Wanderung am Weiher mitten im Burgundischen Waldgebiet saß und meine einfache Rucksack-Mahlzeit zu mir nahm, sah ich sie zum ersten Mal. Die bunte Libelle, der das kreuz und quer Fliegen so viel Spaß zu bereiten schien. Sie umschwirrte mich minutenlang. Ich nahm das nicht besonders ernst. Wie viele Insekten von der Mücke zur Wespe hatten mich bereits begehrlich umkreist, sodass ich annahm meine Nahrungsquelle, unter anderem ein Schokoriegel, das Ziel der Flugkünstlerin sein musste. Nahrungssuche ist einer der Hauptinhalte tierischen Lebens sagte ich mir, tief in meinen Hauptschul-Wissenstornister greifend, der in siebzig Schichten Jahresschutts vergraben liegt. Machte mich dann auf den Heimweg der mir beschwerlicher erschien als der Hinweg. Heimweg sinnierte ich, hat etwas mit Heimgang zu tun und ist bestimmt nicht einfach zu erleben. Und tatsächlich kurz vor meinem Ziel, der heimischen Wohnung, geschah es. Ein Schwindel erfasste mich. Dachte an Überanstrengung. Dummheit so weit gewandert zu sein. Gab der Hitze die Schuld. Dem zu wenig Trinken. Der Nachlässigkeit nicht wie es die Vernunft geboten hätte stündlich eine kurze Pause einzulegen. Altersdu … waren die letzten Silben die mir ins Bewusstsein drangen bevor alles Schwarz um mich herum wurde.

Ich erwache in einem von Licht durchfluteten Raum. Allerlei Gräser liegen um mich herum. Geräte ticken. Es piepst und fiept. Und plötzlich ein anhaltender Dauerton. Menschen kommen angerannt. Sehen mich lange an. Mindestens dreiundzwanzig Augenpaare starren auf mich. Ich vernehme ein Klopfen. So als ob Knöchel auf Glas eindreschen würden. Diese Töne erschrecken mich gewaltig. Ich bin ihnen nicht gewachsen. Versuche die Flucht. Zumindest ein kleines Entkommen von diesen Tönen, was mir einfach nicht gelingen will. Und das Glas von dem die Schallwellen in das Innere (ist es mein Inneres?) dringen hindern mich mit den Außenstehenden Kontakt aufzunehmen, ihnen mitzuteilen das Klopfen sofort und unmittelbar einzustellen. Doch die Geräusche werden heftiger. Die Anzahl der Augen die mich beobachten verdoppeln sich alle Augenblicke. Ich habe bisher nicht gewusst, dass Blicke Schmerzen erzeugen können. Erlebe dies nun in unangenehmster Form.

Durch das Glas das die Stimmen wie mit Wattebäuschen zu unheimlichem Murmeln verwandeln, kann ich nur Bruchstücke von Sätzen und Worten vernehmen: „Glü… Einm… ang…Sense no... .ie Entd… Liebe…“. Was zum Teufel hatte die Sense hier zu suchen. Was hat diese Abgeschlossenheit mit Liebe zu tun? Bin ich im Hades? Und da entdecke ich in einer Ecke des Raumes, in dem ich mich scheinbar befinde, einen kleinen Spiegel. Hüpfe hin, anders kann ich meine Gangart nicht beschreiben. Habe ich ein Bein gebrochen? Erschrecke zu Tode, denn ich erkenne in meinem Spiegelbild eine in allen Farben schillernde Libelle …

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Einige Kommentare zu dieser Kurzgeschichte:

Am 21. Oktober 2016 schrieb schrieb H.K.:

"Mein lieber Herr Loeb, danke schön! Gerade ist mir eingefallen: Libelle - Liebe, nicht wahr, Sie sind ein Wortkünstler!"

Am 21. Oktober 2016 schrieb schrieb H.E.:

"Von der friedlichen, sinnlichen Stimmung zum besinnlichen Heimweg und zum bedrückenden Moment hinter Glas bis zum unerwarteten Blick in den Spiegel - wieder herrlich aufgebaute Spannung.- Note: sehr gut "

Am 21. Oktober 2016 schrieb schrieb M.L.:

"Danke für die märchenhafte Geschichte. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Sie als bunt schillernde Libelle umher schwirren. Ja, ja Wunder gibt es immer wieder! Bunte Herbstgrüße schicke ich zu Ihnen auf die Reise."

Am 21. Oktober 2016 schrieb ein anonymer Leser:

"Eine sagenhaft gut abgefasste Kurzgeschichte. Vielen Dank, Herr Francois Loeb."


"Libellenliebe" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:





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