kostenlose Kurzgeschichte der Woche

Meine kostenlose Kurzgeschichte der Woche

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Boheier

Wir nannten ihn Boheier. Bereits damals im Gymnasium. Um ihn zu ärgern - riefen wir in den Pausen im Chor „BUHEI, BOHEI, HARTGEKOCHTES EIS“ beobachteten dabei, wie sein Gesicht rot vor Wut anlief, um dann mit Leib und Seele in die von uns bewunderte Reaktion zu verfallen. Doch von ihr berichte ich später. Das Sahnehäubchen auf dem Kaffee lasse ich lieber einen oder auch zehn Augenblicklein länger stehen, um dessen Zerfall beim Aufbau meines Mundspeichels zu beobachten. Verzicht gehört zum Genuss, als seien Zwillingsschwestern am Werk. Ich verlor dann Bohei aus den Augen. Er studierte Medizin, was so nicht zu seinem Charakterzug des Aufschneidens passte, ich Parawissenschaften. Er also exakte Doktrin mit nur wenigen Abweichungen. Unerklärlich war das für mich. Er, der Boheier, nicht umsonst lautete sein Spitzname so. Er, der Liebhaber des Klimbims, des Klamauks, des Rummels, konnte ich mir einfach nicht in der klinisch weissen Montur einen Desinfektionsgeruch versprühend am OP-Tisch vorstellen. Nun, einen Lebenslauf aufgrund junger Jahre zu extrapolieren kann, wie Beispiel zeigt, ziemlich abwegig sein. Wer hätte denn je gedacht, dass ich mich den inexakten Parawissenschaften zuwenden würde. Geistern nachjagen würde, die nie handfest zu fassen, deren Existenz jedoch nicht zu verleugnen sind, so wahr mir die Geisterstunde beistehe.

Ja, die einstmalige Reaktion von Bohei war geistig reif, denn er wünschte seinerzeitig nach jedem unserer Spottgesänge jedem Einzelnen von uns alle bösen Geister an den Hals, sodass wir in lautes Lachen verfielen, denn wer glaubte schon an die Existenz solcher Wesen. Wir jedenfalls damals nicht. Ich selbst fühle mich aber heute in meiner Berufung, die eines Tages grosse Anerkennung finden wird, wohl wie eine Forelle in kaltem Bergwasser, der Boheier bestimmt einst in seinem Fach als Chirurg. Möglicherweise hat er zu seiner Vokation dank seinem Spitznamen gefunden, der als Synonym mit Aufschneider bezeichnet werden kann, sowie ich zu der meinigen dank de Verfluchung durch den Verspotteten.

Dass ich Boheier, obwohl er nie an eine Klassenzusammenkunft teilgenommen hat und vor Jahrzehnten vor seinem vorzeitigen Ableben in Übersee praktiziert haben soll, wie ich beim Surfen im Internet herausgefunden hatte, nochmals begegnen würde, überraschte uns beide. Und das kam so: Auf einer Studienreise zu einem alten Volksstamm der Indianer, die dem Geisterkult huldigen, überkam mich ein plötzliches Unwohlsein. Ich wurde notfallmässig in das nächstgelegene Universitätsspital eingeliefert, gleich in den OP-Saal gekarrt, denn die Diagnose des diensthabenden Arztes lautete Blinddarmentzündung in der akuten, lebensbedrohlichen Phase. Eine grün-gekleidete Mannschaft beugte sich über mich. Trotz Gesichtsmaske erkannte ich Boheier, der Skalpell bewehrt auf mich herabsah und sich dann zu meinem linken Ohr neigte um flüsternd die Worte „BUHEI, BOHEI, HARTGEKOCHTES EIS“ auszusprechen. Ich kann versichern, dass ich angesichts des Skalpells das Bohei über mir schwang noch nie in meinem Leben, ich hatte ihn als längst verstorben tief in meinem Langzeitgedächtnis begraben, solche Todesangst verspürt habe wie damals auf dem OP-Tisch.

Als ich dann in einem frisch bezogenen Spitalbett aus der Narkose aufwachte, der behandelnde Chirurg mich nach meinem Befinden befragte, hatte dieser keinerlei Ähnlichkeit mit dem Boheier, sprach mich in einem für einen Deutschen nicht erlernbaren Ami-Slang des mittleren Westens an, wurde mir klar, dass unser Boheier als Geist in den Chirurgen gefahren war, um seine kleine Rache oder Wiedergutmachung an mir dem Doktor der Parawissenschaften zu vollziehen...




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