kostenlose Kurzgeschichte der Woche

Meine kostenlose Kurzgeschichte der Woche

An dieser Stelle präsentiere ich Ihnen im wöchentlichen Wechsel die (kostenlose) Kurzgeschichte der Woche, auch als Pdf-Download.

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Hier die aktuelle Kurzgeschichte der Woche (auch als Download Pdf  >>) :

Eiersehen

Für heute hat sich mein Onkel zum Kaffee angemeldet. Ein alter Mann. Am Stock gehend. Angemeldet trotz Besuchsverbots und Ausgangssperre in seinem Seniorenheim. Wie er dort entwischen will bei den strikten Tür Kontrollen ist mir ein Rätsel. Aber, sei es wie es sei. Respekt vor dem Alter gebietet mir den Tisch nach alten Müttern Sitten hübsch zu decken. Einen Obstkuchen zu backen. Ohne Zucker wie es sich gehört für alte Menschen die möglicherweise, was ich nicht hoffe, an Diabetes leiden könnten. Zuckerdose, Puderzucker und Süssstoff fein neben dem noch im Ofen weilenden Kuchenblech, das diesen Platz ehrwürdig und duftend bald einnehmen wird, drapierend. Ein Kauz ist er allemal der Onkel Paul. Was erzählte man sich in der Familie nicht alles von seinen Jugendeskapaden, Frauengeschichten, Abenteuern die oft zu teuren Morgenenden geführt haben sollen. Unterhaltsam ist Onkel Paul allemal und so freue ich mich auf seinen Besuch. Setze die Sessel, messe dies mit dem Metermass nach, in genau zwei Metern Distanz auseinander. Will ihn schützen. Oder mich? Er kommt ja aus dem Seniorenheim und dort könnte allerhand geschehen sein.
Die Haustürklingel singt ihr melodisch abgestimmtes Lied. Ich schreite gemessenen Schritts, wie kann es bei dieser Persönlichkeit anders sein, die Treppe, als sei ich eine Adlige, herab. Will den Schlüssel im Schloss drehen. Doch ein Geistesblitz hindert mich in letzter Sekunde daran. Muss noch das Osternest mit seinen harten, bunt gefärbten Eiern auf dem Tisch platzieren, obwohl das Nest bereits einer der Gegenwart entrückten Vergangenheit angehört, doch die harten Köstlichkeiten müssen verzehrt werden um nicht zu verderben. Eine bessere Gelegenheit bietet sich nicht, denn Onkel Paul ist der Küche seiner Residenz zu verdanken, stets hungrig. Haste die Treppe hoch. Hauche in die Gegensprechanlage:
‚Onkel, komme gleich, muss den Kuchen aus dem Ofen retten’, lege mein Osternest als sei es eine Preziose auf den bereiteten Tisch, nehme das Kuchenblech mit meinen Topflappen aus dem Ofen. Riecht himmlisch. Was freue ich mich darauf, wenn der Onkel Mitleid hat, mir ein Stück, wenn auch nur ein kleines, übrig lässt. Eile wieder zur Türe. Öffne. Nein, nicht umarmen! Mit der Hand aufs Herz begrüssen. Meiner Freude durch ein umwerfend heiteres Lächeln zum Ausdruck bringen! Hinein bitten. Nach oben führen. Voller Stolz an den Tisch führen. Bitten Platz zu nehmen. Kaffeekanne holen. Einschenken. Milch anbieten. Er nimmt drei Stück Würfelzucker. Also keine Zuckerkrankheit.
Paul lobt das Osternest, bewundert die Ostereier. Bemerkt er sei allergisch auf Farben. Ein Attribut seines hohen Alters. Bittet um ein weisses Ei. Ein rohes. Eile zum Kühlschrank, mir überlegend was ich dann mit den harten unternehmen soll. Bringe das Ei, dieses vorsichtig in den Händen haltend, meinem Onkel Paul. Er verlangt den alten Brauch des Eierklopfens mit mir durchzuführen. Legt mir ein rotes, hart gekochtes in die Hand. Klopft mit seinem rohen heftig auf mein hartes. Und oh Wunder meines zerbricht! Worauf er, mit einem Lachen auf den Stockzähnen, bemerkt:
„Die Weisheit des Alters lehrt, du wirst es auch noch lernen, dass die Tatsachen im Leben oft nicht so sind wie diese den Anschein haben …“




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Ohrenkino

"Eiersehen" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:






Einige Kommentare zu dieser Kurzgeschichte:

Am 29. April 2020 schrieb ein anonymer Leser:

"Der Erzähler unterhält die Lesenden mit einem humorvollen Spiel mit den eigenen Erwartungen und Erinnerungen an seinen alten Onkel, begegnet ihm mit liebevoller Erwartung und mit Respekt. Der Onkel widerlegt die konventionellen Erwartungen mit dem Witz seiner gewagten Aktion und den Lesenden bleiben Fragen, wie der Alte zu dieser verblüffend jugendlichen Weisheit gekommen sei und fragt sich, ob dieser "Alte" vielleicht jung und unkoventionell geblieben, weil er als junger nicht konventionell brav und fleissig gewesen sei. Auf jeden Fall witzige Unterhaltung und Weisheit Menschlichem offen und nicht mit Vorurteil zu begegnen. "

Am 27. April 2020 schrieb H.B.:

"Dank dem rohen Ei von Ihrem ehrwürdigen Onkel weiss ich nun, dass ich auf dem besten Weg zur Weisheit bin! Nämlich, vor einem Jahr beim Spiel an der Osterfeier gewann ich den 1. Preis. Die Aufgabe lautete: Ein Osterei schnell und schadenlos vom 1. Stock in den Rasen hinunter werfen. Es ging los:
Da wurde ein Ei mühsam eingewickelt - einem eine Schnur verpasst - jemand rief nach einer Schachtel - andere standen ratlos da. Ich - ich nahm das kreativ bemalte Osterei in die Hand, warf es, als Erste, ganz sachte mit Feingefühl über das Balkongeländer in den grünen Rasen hinunter. Siehe da, mein Wurf war gelungen, nicht beschädigt präsentierte es sich uns allen, einem Schmuckstück gleich. So wurde mein Kunststück von all den noch nicht "Weisen" bewundert. "



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