kostenlose Kurzgeschichte der Woche

Meine kostenlose Kurzgeschichte der Woche

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Das Makroskop

Mein Freund, ein Psychiater mit einer gutgehenden Praxis — drei Monate Wartezeit für einen Behandlungstermin sind bei ihm keine Seltenheit —, ist heute zum Abendessen bei mir eingeladen. Ich freue mich, ihm ein Gourmet-Dinner zu kredenzen. Ihm zu beweisen, wie gross meine Bewunderung für seine Berufung ist, wie ich es schätze, dass er Menschen mit diffusen Krankheitsbildern helfen kann. Seit heute Morgen werkle ich in der Küche. Habe zuvor den Keller aufgesucht, edle Tropfen ausgewählt, was bei geschätzten Besuchern stets einige Zeit, meist über eine Stunde, in Anspruch nimmt. Ich komme dabei über meine Schätze ins Schwärmen, verkoste beim Lesen der Etiketten virtuell die verschiedenen Köstlichkeiten. Erstaunlich, was unser Hirn alles vermag. Werde diese Frage heute Abend meinem Freund stellen, damit er seine Kenntnisse vor mir ausbreiten und ich ihn entsprechend bewundern kann. Denn auch Psychiater sind nicht vor den Freuden des Bewundertwerdens gefeit, obwohl sie stets hinter beinahe jedem Wort, das an sie gerichtet wird, Absicht, bei Hochachtungs-Bezeugungen gar Schmeicheleien vermuten.

Die Quiche, als Vorspeise gedacht, schmort bereits im Ofen. Die Garnelen, die den Feldsalat schmücken werden, sind gekocht und lauwarm. Der Käsekuchen, unser Nachtisch, mit heissen Himbeeren serviert, ist vorbereitet und wartet im Kühlschrank auf seinen Verzehr. Dann der kleine Schwarze mit dem alten Grappa, die das Mahl abrunden werden. Der Hauptgang, nun das ist eine alte Abmachung unter uns Freunden, ist jeweils DIE Überraschung, denn der Gast bringt ihn aus alter Tradition mit. Von ihm höchstselbst ausgewählt und zubereitet. Was hat er sich wohl ausgedacht? Jedenfalls bin ich gespannt. Wie ich ihn, den Feinschmecker, kenne, wird dieser Gang besonders schmackhaft sein, meine Gerichte in den Schatten stellen. Halt! Da schleicht sich bereits Eifer-Sucht im wahren Sinne des Wortes ein. Werde mit ihm darüber sprechen müssen. Da ertönt bereits das melodische Ding-Dong, das ich selbst eingerichtet und mir als Weihnachtsgeschenk überreicht habe. Ich begrüsse ihn herzlichst. Leicht vornüber gebeugt scheint mir mein Gast nicht glücklich. Sorgenfalten zerfurchen seine sonst glatte Stirn. Er muss einen sehr anstrengenden Tag hinter sich, den Seelenmüll seiner heutigen Patienten noch nicht verarbeitet haben. Da steht mir eine besondere Aufgabe bevor: ihn aufzuheitern. Ihm die aufrechte Haltung zurückzugeben. Die Sorgenfalten zu glätten. Begrüsse ihn mit herzlichster Umarmung. Bin auf sein Hauptgericht gespannt. Schnüffle nach dessen Geruch. Doch ausser seinem Aftershave, das ich kenne und liebe, erkennt meine empfindsame Nase nichts. Da schiessen auch schon die Worte aus seinem Mund, er als geübter Gedankenkünstler hat die meinen wohl erfasst! „Habe heute so viel Sorgen, dass ich eine Pizza, für dich natürlich vegetarisch, als Hauptgang bestellen musste. Sollte gleich angeliefert werden.“

Obwohl sehr enttäuscht, unterdrücke ich meinen Ärger, sage heitermütig, dass dies kein Problem darstelle und bitte ihn zu Tisch. Schenke einer meiner Schätze, einen edlen Weissen aus der Toskana, in unsere Gläser, proste ihm zu. Halbherzig, ach wo ist die andere Hälfte seines Herzens geblieben, antwortet er mir mit einem leisen Salut. Es scheint, dass ich bei unserem heutigen Überraschungsdinner seine Rolle zu übernehmen habe. Frage, um das sichtbare Eis zu brechen, zuerst nach dem Wetter. Ob die Strassen immer noch vereist seien. Er schüttelt nur sein Haupt, ohne dass ein Wort seinen doch jetzt angefeuchteten Gaumen verlässt. Ein schwieriger Patient denke ich. Habe meine, besser gesagt seine Rolle bereits voll übernommen. Hoffe, dass dabei meine Quiche nicht schwarz werden und die Suppe nicht zum Überlaufen kommen wird, denn wessen Herz voll ist …!

Gehe jetzt zum direkten Angriff über. Ein fataler Fehler, der keinem Psychiater unterlaufen würde, weiss mir aber nicht anders zu helfen. Frage ihn, wo ihn der Schuh drückt. Nirgends, antwortet er mit dumpfer Stimme, die einer Miesmuschel gehören könnte. Ganz im Gegenteil, er habe seine Mokassins angezogen, die ihn den ganzen langen Tag begleiten würden, in denen er sich wohlfühle. Als ungeschulter Seelenklempner frage ich weiter. Will wissen, was ihn bedrückt. Da sehe ich, dass mir scheinbar ein Volltreffer gelungen ist. Ich bemerke eine Verdunkelung seiner Pupillen, ein Würgen seiner Halsmuskeln, das Zücken eines Taschentuchs, das er an seine Augen führt, gefolgt von einem einzigen, mehr gehauchten als laut ausgesprochenen Wort: „DAS MAKROSKOP!“ Ich versuche ihn weiter zu ermuntern. Ihm Worte aus der Nase zu entlocken. Doch er bleibt stumm. Greife zur Grappaflasche, die zum Nachnachtisch vorgesehen ist, schenke ein, stosse an. Lasse ihm Zeit, das Glas zu leeren. Erkundige mich nach dem Sinn des Wortes Makroskop. Und da bricht es, während meine Suppe überläuft und zischt, die Quiche dunkle Wolken aus dem Backofen zaubert, aus ihm heraus: „Meine Zukunft! Meine Zukunft ist zu. Geschlossen! Abgeschottet. Ruiniert! Die Erfindung des Makroskops, das in die Seelen der Mitmenschen blicken lässt, ähnlich einem bildgebenden medizinischen Gerät, einer Röhre, aber ganz einfach zu bedienen, sodass es jeder Mensch, selbst ein Kind handhaben kann, wird meine Praxis zerstören, mich in die Arbeitslosigkeit entlassen, und anstatt dass ich meinen Patientinnen und Patienten in die Abgründe ihrer Seele blicken kann, werden sie in die meinen eindringen können…!“

Mein Freund legt seinen Kopf auf den Küchentisch, und ich schenke dem Pizzaboten seine Lieferung zum Selberessen, entsorge Suppe und Quiche im Kompost und widme ihm und mir als Trost weitere Schätze meines Kellers …



Und als Bonus ein weiterer DREISATZROMAN aus meiner Feder:

S O R G E N F A L T E N

Diese Falten
Halten heute lange
Klingen kälter wollen
Einfach nichtinnehalten.

Wir wollen uns entfalten
Rufen sie mir klar und
Deutlich lauthals zu.

Da stelle ich mich
Über mich selbst lachend
Vor den Spiegel wiehere mir
Lustig zu lasse sie sich wonnig heiter
Entfalten denn wer bin ich schon bestimmt
Keinesfalls mein eigen traurig blickend Klon.




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