« Du hast eine Meise mit Deinen Reisen », warf mir mein Freund vor Jahren, er war ein Reisemuffel, an den Kopf! « Immer höher, weiter, tiefer, wann willst du den Mars erkunden, frage ich dich. Oder gar die Sonne, um in ihr zu Verglühen. Oder lieber ein schwarzes Loch? Um dich darin zu verstecken? » Grimmig sah mich mein Freund dabei an. « Und eines Tages, wenn du deines fortgeschrittenen Alters wegen nicht mehr herumschwadronieren kannst, was unternimmst du dann? Trübsal blasen? Einfach der Vergangenheit nachtrauern? Aufgeben! Na Prost, viel Vergnügen dabei“. Genau an diese seine Worte erinnere ich mich vor seinem Grabstein auf meinem Klappstühlchen sitzend, dabei meinen Erinnerungen nachhängend. Ja, wenig Freude hatte er in seinem Leben. Immer auf einem Fleck hausend. Reisen verachtend. Sich deren schreckliche Gefahren ausmalend, die er nie eingehen würde. Und dann eines Tages stolperte er zuhause auf der Treppe. Trat dann seine letzte und wohl einzige unendlich lange Reise an. Sich deren Gefahren nicht mehr bewusst. Ja, und ich erinnere mich genau seiner Warnung ‘und eines Tages, wenn du deines fortgeschrittenen Alters wegen nicht mehr herumschwadronieren kannst. Was unternimmst du dann? Trübsal blasen? Einfach der Vergangenheit nachtrauern? Aufgeben? » Könnte ich doch nur mit ihm sprechen! Aufgeben, dass ich nicht lache! Mich ins Wolkenkuckucksheim verkriechen? Hat der eine Ahnung! Ahnung gehabt was ein Kopf, ein Hirn alles unternehmen kann! Ja, reisen. Unendliche Kopfreisen ohne körperliche Strapazen. Die Welt neu erkunden. Stürme auf hoher See ohne Schiffbruch zu erleiden durchkämpfen. Im Urwald von Löwen umzingelt zu sein und mit ihnen zu sprechen. Ihnen klar zu machen, dass Gazellen Fleisch viel besser als meines munden wird. Deren knurrige Antworten anhören. Sie beobachten wenn sie zum Sprung ansetzen. Unsterblich zu sein. Auch das zu überleben. Zum Südpol zu marschieren. Entbehrungen zu erleiden. Das Ziel total durchfroren zu erreichen. Die Rückkehr in Minuten sicher durchzuführen. Sich am heimischen Kamin aufzuwärmen. Ja, mein Freund, das Kopfreisen ist so reich, so umfassend, so abenteuerlich, dabei, welche Wohltat, morgens immer im eigenen Bett aufzuwachen!
‘Du hast eine Meise mit Deinen Reisen’. Nein lieber Freund, ich habe einen Storch im Kopf, der weiss nämlich um die Freuden des Reisens, auch deren im Kopf!
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"Reisemeise" als Tondokument, vorgelesen von François Loeb:
Einige Kommentare zu dieser Kurzgeschichte:
Am 18. September 2020 schrieb ein anonymer Leser:
"Das ist eine wunderbare Geschichte!! Vielen Dank. Fast ein "Programm" für die vielen Menschen, die aus irgendeinem Grund nicht verreisen können. Ein echte Anti-Corona-Vergnügung! Ein Rezept gegen den Missmut so vieler Menschen über Reisebeschränkungen im Sinn der alten Weisheit: Die Gedanken sind frei.
"
Am 18. September 2020 schrieb ein anderer anonymer Leser:
"Lieber Francois Loeb, genau so ist es! Wenn wir uns schon jung der Welt öffnen, neugierig sind, Neues erfahren wollen, lässt dies auch im Alter nicht nach. Wunderbar, wenn wir unseren Geist, unsere Phantasie erhalten können und damit weiterhin hingehen, wohin es uns beliebt.
Als ich jung war, staunte ich oft ob der alten Menschen, die einfach da sassen, in Gedanken versunken. Wahrscheinlich waren sie auch gerade beim "Reisen". ;-)
Ich wünsche Ihnen noch viele, weitere Kopfreisen und sende Ihnen herzlich Grüsse "
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Herzlichst Ihr François Loeb
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02. NOV 24
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Schloss Hünigen Konolfingen 18:30 Uhr
zusammen mit Stefan Heimoz